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Start-up

«In Medizintechnik sind wir führend»

Heidrun Flaadt Cervini leitet die Startup-Programme an der Universität Lugano.
Foto: zVg

Seit bald zehn Jahren existiert in Lugano ein Startup-Programm für Jungunternehmen aus dem Biotech- und Medtech-Sektor. Die Programme sind einmalig in der Schweiz und inzwischen eine wichtige Säule im Ausbildungsangebot der Universität Lugano (USI). Heidrun Flaadt hat die Ausbildungsprogramme von Anfang an mitaufgebaut und leitet sie noch heute. Wir haben sie gefragt, warum der Campus eigentlich nicht in Basel steht.

Frau Flaadt, Sie leiten das «Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine» der Universität Lugano. Wie sind Sie zu dieser Ehre gekommen?
Als ich 2008 zu meinem Mann ins Tessin gezogen bin, bot mir der damalige Präsident der Università della Svizzera italiana (USI), Prof. Dr. Piero Martinoli, ein Mandat zur Durchführung einer Marktrecherche an. Das Ziel der Recherche war, Nischen im internationalen Ausbildungsmarkt zu finden, um neue Weiterbildungsprogramme im Bereich Life Sciences zu entwickeln. Nach Abschluss der Studie durfte ich die beiden Ausbildungskonzepte «BioBusiness» und «MedTech Business» in 2010 und 2014 entwickeln. Diese Programme leite ich noch heute. Mit der Bildung der neuen Fakultät für biomedizinische Wissenschaften der USI, die zusammen mit der ETH Zürich, der Universität Zürich und Basel einen neuen Masterstudiengang in Medizin anbietet, wurde 2017 das «Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine» gegründet, das neben Lehre und Forschung eine der drei Säulen dieser Fakultät ist.

Das betriebswirtschaftliche Weiterbildungsprogramm richtet sich speziell an Startups aus dem Bio- und Medtech-Sektor. Warum?
Der Innovationsprozess in der Bio- und Medizintechnologie unterscheidet sich von anderen Sektoren. Innovationen in der Life-Sciences-Branche sind sehr kapitalintensiv, gleichzeitig risikoreich und unterliegen zudem strikten regulatorischen Rahmenbedingungen und ethischen Erfordernissen. Aufgrund unserer Marktstudie haben wir erkannt, dass diesem branchenspezifischen Anspruch in den meisten Entrepreneurship-Programmen keine Rechnung getragen wird. Zusammen mit 30 internationalen Autoren haben ich und Jörg Dogwiler übrigens im Oktober 2018 auch ein Buch zum Thema publiziert (siehe Box).

Wer darf sich für das Programm anmelden?
Die beiden Ausbildungsprogramme richten sich an alle, die eine konkrete Geschäfts-
idee für ein Life-Sciences-Startup haben. Das BioBusiness-Programm vermittelt Kenntnisse, die zur Entwicklung neuer Therapeutika notwendig sind, während das MedTech-Programm sich auf die Entwicklung neuer Medizintechnik-Produkte konzentriert. In beiden Weiterbildungsprogrammen wird das zur Gründung, Entwicklung und Finanzierung von Bio- und Medizintechnologie-Unternehmen notwendige Wissen vermittelt.

Was bietet das Programm den Jungunternehmern?
Die Programme bieten eine Zusammenstellung aus branchenspezifischen und unternehmerischen Themen. Die Lehrkörper beider Ausbildungsgänge bestehen aus 20 bis 25 international anerkannten Experten. Die Ausbildungen beinhalten auch praktische Projektarbeiten, wobei die Teilnehmenden ihre Geschäftsidee in Zusammenarbeit mit Experten weiterentwickeln können. Am Ende der Programmwochen werden die Projekte einer Jury aus Investoren und Unternehmern präsentiert und evaluiert. Das Projekt mit der besten Bewertung erhält die Einladung von den MIT Alumni Life Science Angels nach Boston.

Seit dem bald zehnjährigen Bestehen des Programms: Was sind aus Ihrer Sicht die Highlights?
Es gibt so viele positive Erfahrungen mit den Teilnehmenden. Eine schöne Entwicklung durfte unser Alumnus Dr. Carlo Bertozzi erleben. Als ich ihn das erste Mal traf, schloss er gerade seine Dissertation ab und verkaufte nebenbei Schokolade, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zwei Jahre nach der Teilnahme an unserem Programm kaufte Heptares sein Startup «G7 Therapeutics» und er wurde zum Millionär. Viele Alumni fanden durch die Programme neue Investoren für ihr Unternehmen, zum Beispiel GreenBone Ortho und Amal Therapeutics. Die Erfolge unserer Alumni stellen natürlich eine grosse persönliche Befriedigung für mich dar.

Müsste der Campus nicht eigentlich in Basel stehen, wo Roche und Novartis zu Hause sind?
Solche Fragen werden mir häufig gestellt. Meine Antwort darauf ist, dass die Università della Svizzera italiana (USI) als eine der kleinsten und jüngsten Universitäten der Schweiz eine Nische im internationalen Ausbildungsmarkt entdeckt und das Risiko nicht gescheut hat, Angebote in dieser Marktlücke zu entwickeln. Zu Beginn haben wir proaktiv Ausschau nach Partnern in der Nordschweiz gehalten, standen jedoch vor verschlossenen Türen. Nachdem die Angebote erfolgreich lanciert waren und Teilnehmende aus der ganzen Schweiz und dem Ausland anzogen, wurden wir wahrgenommen und aufgefordert, die Programme aus dem Tessin zu verlagern, obwohl wir auch hier beispielsweise mit IBSA und Helsinn international erfolgreiche Unternehmen haben, die uns unterstützen. Unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen kommen jedenfalls sehr gerne nach Lugano und geniessen das südliche Flair in einer wunderschönen Umgebung.

Wie beurteilen Sie den Medtech- und Biosektor in der Schweiz im internationalen Vergleich?
Gemäss Switzerland Global Enterprise gehört die Schweiz in Europa zu den stärksten und innovativsten Standorten für Biotechnologie. Als Basis des Erfolgs der Schweizer Unternehmen gilt das enge Netzwerk zwischen Forschung und Entwicklung, getragen von renommierten Hochschulen, hochspezialisierten KMU und starken multinationalen Konzernen. In der Medizintechnik nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich eine klare Führungsrolle ein. In keinem anderen Land der Welt trägt die Medizintechnik so viel zum Bruttoinlandprodukt bei. Bei der Umsetzung von Ideen und Patenten in Produkte und Dienstleistungen liegt die Schweiz jedoch unter dem OECD-Durchschnitt. Grund dafür sind fehlende Direktinvestitionen in die wertschöpfende, arbeitsplatzschaffende Wirtschaft. Hier möchte der «Zukunftsfond Schweiz» ansetzen und als Dachfonds in spezialisierte Venture-Capital-Gesellschaften der Sektoren mit hohem Wachstumspotenzial wie Biotechnologie & Lifesciences sowie Medizinaltechnik investieren.

Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?
Zum einen arbeiten wir an der Entwicklung neuer Weiterbildungsprogramme. Darüber hinaus möchten wir die bestehenden Programme noch besser international vernetzen und neue Partnerschaften eingehen. Da das «Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine» eine wichtige Säule unserer neuen Fakultät für biomedizinische Wissenschaften darstellt, werden wir das Thema Innovation und Entrepreneurship stärker in der Fakultät verankern und neue Angebote entwickeln, die bereits von Studenten und Doktoranden genutzt werden können. Damit bietet wir unseren Medizinstudierenden neben einer Tätigkeit in der Medizin oder Forschung eine zusätzliche, dritte Karriereoption.