Martin Günter, La Werkstadt durfte 2018 sein zweijähriges Bestehen feiern. Welche Resonanz hat das Pilotprojekt seit der Eröffnung erhalten?
Die Resonanz war am Anfang relativ hoch. Die Bielerinnen und Bieler haben es geschätzt, dass wir nach Biel gekommen sind und der Standort hat sich als sehr dankbar erwiesen. Seit Anfang 2018 sind wir gut unterwegs und können nun eine positive Bilanz ziehen. Wir haben 120 Members, im ganzen Netzwerk über 500 Leute sowie regelmässige Buchungen für unsere Räumlichkeiten. Auch KMU buchen unsere Dienstleistungen und lassen sich von uns in Innovations- und Transformationsthemen zur Digitalisierung oder zu Teamstrategien beraten.
Woher kommen die KMU?
Viele der Einzelunternehmer, die hier im Coworking Space arbeiten, kommen aus der Region Biel. Unsere Räume werden aber von Kunden aus der ganzen Schweiz gebucht. Zwar liegt der Fokus auf dem Mittelland, aber es kommen auch Kunden aus Zürich, Olten, Solothurn und Neuenburg. Es ist einem eigentlich gar nicht bewusst, dass Biel sehr zentral liegt.
La Werkstadt wird auch als «Haus der Möglichkeiten» bezeichnet. Welche Möglichkeiten bietet es?
Wir haben sowohl Angebote für Einzelpersonen als auch für kleinere und grössere Unternehmen. Beide Gruppen unterstützen wir im Bereich Innovation und Transformation. In unseren Räumlichkeiten können Unternehmen arbeiten und Fragen rund um Innovationsthemen nachgehen. Mit unserer Methode bieten wir individuell zugeschnittene Beratungsdienstleistungen – auch für KMU. Für Einzelpersonen gibt es ein Lern- und Workshop-Programm, das Leute zur Selbstständigkeit befähigen soll. Drittens natürlich die Community selber. Zwar haben Einzelunternehmer oder Startups ihre Kompetenzen, aber auch sie haben Fragen, brauchen Unterstützung oder einfach einen Wegweiser. Diesen finden sie bei uns. Zudem bieten unsere Events einen informellen Rahmen für den Austausch. Denn: Je mehr die Digitalisierung in unser Leben tritt, desto wichtiger wird der persönliche Kontakt. La Werkstadt versucht, diese Gegensätze miteinander zu verbinden.
Im Untergeschoss Ihres Hauses ist auch mit dem Glasfasernetz die neueste Technologie im Festnetz und Mobilfunk zu erleben. Diese Einrichtung hebt La Werkstadt von anderen Coworking Spaces ab.
Das hat mit unserem Sponsor zu tun. Swisscom möchte einer ausgewählten Zielgruppe einen Showcase bieten. Unser Produkt sieht man nicht, es ist die Infrastruktur mit dem besten Netz in der Schweiz, das auch die Digitalisierung im Land ermöglicht und so einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts leistet. Wir wollen mit La Werksatdt aufzeigen, dass es dabei auch um einen gesellschaftlichen Wandel geht. Es geht nicht darum, dass jede Bäckerei eine App hat, sondern darum, was die Digitalisierung für Arbeitsprozesse, die Kundeninteraktion, für die Mitarbeiter und die Arbeitszeit bedeutet.
Sie sind Transformationsexperte. Was fasziniert Sie an Innovations- und Transformationsprozessen?
Sie haben mich ein Leben lang fasziniert. Vielfach werden Unternehmen als eine Maschine betrachtet, bei welcher alle Räder optimal und ineinander verzahnt funktionieren müssen. Ich glaube dagegen, dass ein Unternehmen ein Organismus ist. Wie die Natur lebt es in Zyklen, ist nicht statisch, sondern befindet sich immer in Transformation. In einem Unternehmen sind Menschen nicht lediglich eine Human Ressource, um Prozesse abzuwickeln. Auch im Bereich Innovation möchte ich Unternehmen Mut machen, indem ich sie Schritt für Schritt an ein neues Selbstverständnis oder ein neues Businessmodell heranführe. Auch das ist ein organischer Prozess. Ich plädiere für mehr Mut und ein rechtzeitiges Anpacken.
Welche konkreten Herausforderungen stellen sich in einem Transformationsprozess?
Menschen bewegen sich häufig erst unter Leidensdruck. Es ist nicht einfach, Neues zu erfassen und eine Roadmap dorthin zu entwerfen. Menschen sind es gewohnt, sich ein konkretes Ziel zu setzen. Doch wenn der Kontext diffus oder neuartig ist, wird es schwierig, eindeutige (Teil-) Ziele zu identifizieren. Hier greift die Design-Thinking-Methode: Über kleinere Iterationsschritte kann man sicher auf ein grob definiertes Ziel hin steuern.
Warum gehen Unternehmen Transformationsprozesse oft zu spät oder gar nicht an?
Oft verspüren Firmen keinen Handlungsdruck. Geht es dem Unternehmen gut, wäre es der richtige Zeitpunkt, sich über Transformationsprozesse Gedanken zu machen. Es ist wie beim Zahnarzt: Man geht erst hin, wenn es richtig weh tut. Unternehmen, die den richtigen Zeitpunkt verpassen, haben im entscheidenden Moment keine Ressourcen und Zeit mehr und können nur noch das Operative abwickeln. Innovation ist eine Investition: Man muss Ressourcen investieren, um das Unternehmen für die Zukunft zu sichern. Viele Unternehmen handeln erst, wenn die Ressourcen gar nicht mehr vorhanden sind.
Gibt es Branchen, die sich bei diesem Thema besonders schwer tun?
Viele kleine Unternehmen in traditionellen Berufen erachten es nicht für nötig, sich dem Thema anzunähern. Für grosse Firmen ist es einfacher. Ein Thema ist sicherlich auch die Führungskultur. Autoritär, hierarchisch geführte Unternehmen verhindern dadurch oft Innovationsprozesse, weil die Mitarbeiter sich nicht trauen, die Initiative zu ergreifen. Auch Industriebereiche, die in der Vergangenheit keinen Transformationsbedarf hatten, trifft es eher. In der Uhrenindustrie war es jahrzehntelang ausreichend, präzise und gut funktionierende Uhren zu produzieren. Nun wird sie durch die Wearables herausgefordert, die keine Uhren mehr, sondern multifunktionale Geräte sind. Hier reichen Investitionen ins Branding nicht mehr aus.
Kann man Innovation lernen?
Wir haben ein Methodenset, mit dem wir Unternehmen in Innovationsprozessen begleiten. Ein Innovationsprozess ist nichts anderes als ein Lern- und Problemlösungsprozess, allerdings ist dafür eine entsprechende Unternehmenskultur unabdingbar. Es reicht nicht, wenn zwei Innovationsmanager eine entsprechende Denkhaltung einnehmen, der Rest der Mitarbeiter aber möglichst wie bisher weiterarbeiten will. Es braucht eine Innovationskultur. Viele KMU glauben, dass für Innovationsprozesse viel Geld investiert werden muss, aber oft genügt die entsprechende Einstellung, dann läuft vieles von selbst.
Wie wird sich die Arbeit in Zukunft verändern?
Bei jeder Arbeitsverrichtung gibt es transaktionale und menschliche Aspekte. Im Schuhgeschäft geht es darum, den Kunden zu beraten, auf ihn einzugehen und ihm eine Empfehlung zu geben. Beim transaktionalen Teil geht es dann darum, die Schuhe aus dem Lager zu holen, sie zu scannen und zu kassieren. Die Digitalisierung wird dazu führen, dass der transaktionale Teil in allen Berufen kleiner wird oder sogar ganz wegfällt. Doch der menschliche Aspekt wird nie wegfallen, weil wir soziale Wesen sind. Die grosse Chance der Digitalisierung sehe ich darum darin, dass wir mehr Zeit für die menschlichen Aspekte gewinnen. Was Onlineshops nicht abdecken können, ist die sympathische Verkäuferin, die für mich ein Kleidungsstück auswählt und sagt: «Martin, darin siehst du toll aus!» Durch die Digitalisierung werden sich darum Jobprofile verändern, die menschlichen Aspekte gewinnen an Bedeutung.
Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter auf diesem Weg mitnehmen?
Die Frage ist: Wer hat mehr Angst vor der Digitalisierung, die Geschäftsleitung oder die Mitarbeiter? Menschen sind von Grund auf neugierig, sie übernehmen gern Verantwortung und möchten einen Beitrag leisten. Viele Unternehmen haben diese Fähigkeiten ihren Mitarbeitern aberzogen. Sie wollen Leute, die verrichten und nicht aktiv mitdenken und kritisch hinterfragen. Nun müssen wir es schaffen, bei Mitarbeitenden den natürliche Drang zum Mitwirken und Mitdenken wieder zu fördern. So können wir die ohnehin existierenden, vorwärts gerichteten Kräfte positiv nutzen und zulassen, dass diese nach aussen gelangen.
Was war das bisher grösste Highlight, das Sie als Leiter von La Werkstadt erleben durften?
Es gibt natürlich mehrere kleine Highlights (lacht). Es sind Geschichten wie die von Anna, die als Studentin hier ihre Masterarbeit geschrieben und einen Research-Blog startete, weil sie Dialekte erforschte. Sie hat ihn aus der Not lanciert, weil sie aus der Schweiz ihre plattdeutschen Kollegen nicht schnell genug erreichen konnte. Jetzt gibt sie Coachings für Leute, die bloggen lernen wollen. Oder Stefanie, die in einer grossen Pharmafirma gearbeitet und sich dann selbständig gemacht hatte, um ein Business als Strategie- und Marketingberaterin zu starten. Als wir mit einer Solothurner Bank Workshops für digitale Angebote durchgeführt haben, hat die Community beim Brainstorming mitgemacht. Wenn unsere Kunden für Projekt die Kompetenz der Community nutzen können, ist das natürlich der Idealfall.
Auf welche anstehenden Projekte freuen Sie sich besonders?
Wir möchten hier in Biel weiter wachsen. Es geht nicht nur ums Business, sondern auch um unsere Philosophie. Schön wäre es, wenn wir an weiteren Standorten unser Konzept umsetzen könnten, wenn wir auch in Winterthur, St. Gallen oder Luzern präsent wären. Ich glaube, dass es durchaus Bedarf gibt.