Herr Richle, Sie sind als Elektroingenieur im Banking gelandet. Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe mich bereits während des Studiums intensiv mit Informatik beschäftigt. Mit Banking kam ich Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal während des «Management-Zyklus» der Universität Zürich in Kontakt (Vorläufer des Executive MBA). Die Abschlussarbeit über die IT von Banken verfasste ich gemeinsam mit einem Kollegen, der bei der Bank Wegelin tätig war. Wir hatten festgestellt, dass die damalige IT den Anforderungen der Banken bezüglich „Time to Market“ nicht mehr gerecht wurde. Im selben Zeitraum lernte ich Richard Dratva kennen, der neu in die Firma kam, für die ich damals arbeitete. Gemeinsam haben wir einen ersten Webshop für die Firma gebaut. Richard kam von der Bankenseite her und hat am Institut für Wirtschaftsinformatik der HSG zum Thema Telebanking promoviert.
1996 haben Sie die Crealogix zusammen mit Richard Dratva gegründet, die heute Software für Banken herstellt. War dieses Ziel von Anfang an klar?
Überhaupt nicht. Zunächst haben wir eine klassische Webagentur gegründet. Wir glaubten einfach ans Internet, und damals wusste niemand wirklich Bescheid. Dann erhielten wir die Möglichkeit, für die Credit Suisse das erste Online-Banking in der Schweiz aufzubauen. Die CS war sozusagen unser Starthelfer und bis zum Börsengang im 2000 haben wir rund 80 Prozent unseres Umsatzes mit der CS erzielt.
Warum hat die CS das E-Banking nicht weiterhin der Crealogix anvertraut?
Die Situation war damals günstig für uns. 1998 bis 1999 waren die Grossbanken damit beschäftigt, ihre Systeme sicher über die Jahrtausendgrenze zu bringen. Die IT-Abteilungen waren davon völlig absorbiert. Als die Jahrtausendwende überschritten war, wurde das Internet als IT Thema von den CIOs der Banken erkannt und man wollte hier die Führungsrolle mit eigenen Implementierungen selber übernehmen. Dies war auch der Zeitpunkt als alle grossen, globalen IT-Player und zusätzlich auch die damaligen «Big Five» auf den Markt drängten. Speziell zu erwähnen sind vielleicht Unternehmen wie Arthur Andersen oder McKinsey. Die CS startete dann auch grosse Internet Initiativen im Umfang von mehreren hundert Millionen Franken. Dass sie überzeugt waren, dass die kleine CREALOGIX mit 20 Millionen Jahresumsatz dieser Aufgabe nicht gewachsen sein kann, ist verständlich.
Könnte die Crealogix die Funktionalitäten bieten, welche die CS heute verlangt?
Ja, ich denke schon. Die CS könnte so wohl einen grösseren zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr sparen.
Trotzdem ist die Crealogix international sehr erfolgreich unterwegs. Ist der Schweizer Standort dabei ein Vorteil oder Nachteil?
Beides. Der Schweizer Markt ist de facto eine geschützte Werkstatt. Er ist klein und hat eine hohe Regulationsdichte. Die Schweiz ist darum für ausländische Softwareunternehmen wenig interessant, weil ein Eintritt mit zu viel Aufwand verbunden wäre, um ihre Lösungen den Regulatorien anzupassen. Das führt dazu, dass man in der Schweiz relativ schnell erfolgreich sein kann. Sobald man jedoch die Landesgrenze überschreitet, wird einem schnell bewusst, wie gross die Konkurrenz ist und dass niemand auf Schweizer Softwareunternehmen gewartet hat. Hinzu kommt der hohe Schweizer Franken. Die Preisdifferenz mit Argumenten der besseren Produktqualität zu begründen, wird zunehmend schwieriger. Auch wir kommen heute nicht mehr darum herum, im Ausland zu entwickeln – selbst für den Schweizer Markt.
«Sobald man die Landesgrenze überschreitet, wird einem schnell bewusst, dass niemand auf ein Schweizer Softwareunternehmen gewartet hat.»
In der Schweiz gibt es immer noch rund 300 Banken. Ist dieser Markt nicht gross genug?
Es gibt grundsätzlich zwei Varianten. Erstens, Fokussierung auf den Schweizer Markt mit einem breiten Produktangebot, oder, zweitens, Fokussierung auf ein schmales Produktangebot mit einem internationalen Markt. Wir entschieden uns für die zweite Variante, mit dem Produktthema «Digitalisierung der Banken». Wir sind überzeugt, langfristig damit ein grösseres Marktpotenzial zu haben, welches durch die Skaleneffekte auch höhere Margen zulassen sollte.
Die Skalierung funktioniert aber nur, wenn Sie ein Standardprodukt haben. Ist Crealogix ein Softwareprodukthaus?
Ja, mit dem «Digital Banking Hub» als Basisplattform und den vielen via API anschliessbaren funktionalen Bankingkomponenten verfügt Crealogix heute über ein umfassendes Produktangebot, welches auch via Partnerunternehmen bei Banken implementiert werden kann. In der Schweiz implementieren wir immer noch selber – im Ausland nur noch teilweise.
Sind die Banken mit einer Standardlösung zufrieden? Wollen sich diese nicht unterscheiden im digitalen Erscheinungsbild respektive Produktangebot?
Das ist eine der Herausforderungen, die wir bewältigen müssen. Die Kernsoftware muss sehr viel Flexibilität zulassen, um individuelle Anpassungen schnell umsetzen zu können. Zudem muss unsere Lösung den Banken erlauben, auch Anwendungen von Fintechs einfach und schnell in ihre Systeme zu integrieren. Wir müssen die Lösungen nahtlos einbauen können. Dafür haben wir unsere Basisplattform, den «Digital Banking Hub» geschaffen, Über diesen Middle Layer können wir unsere eigenen Module einbauen sowie die Anwendungen Dritter oder der Banken selber einbinden. Will eine Bank beispielsweise nicht unseren, sondern einen Robo-Advisor eines Fintechs ihren Kunden anbieten, können wir dieses Drittprodukt via API nahtlos in das System der Bank einbinden.
Ist die Crealogix überhaupt ein Fintech?
Die Frage ist, was man unter einem Fintech versteht. Klassischerweise versteht man unter dem Begriff ein Unternehmen, das sich eine einzelne Bankingfunktion wie zum Beispiel ein Hypothekenmodul auswählt, das aber keine Verbindung zum Rest des transaktionalen Banking hat. Wir hingegen integrieren die einzelnen Elemente miteinander auf einer einzigen Plattform. So können wir mit unserem Banking Hub Banken und Fintechs so zusammenzuführen, dass die Bank dem Kunden am Ende ein ganzes Ökosystem anbieten kann. Wir sind ein Fintech – sogar eines der globalen Top 100!
«Die PSD2 wird dazu führen, dass die Banken sich öffnen müssen, was natürlich Wasser auf die Mühlen der Fintechs ist.
Was erwartet uns im Digital Banking in den nächsten drei bis fünf Jahren?
Wo die Reise hingeht, ist unter dem Begriff Open Banking zu verstehen. In der Schweiz tut man sich damit zwar noch etwas schwer, in der EU gilt seit dem 14. März 2019 die Payment Services Directive (PSD2). Die Bank ist demnach verpflichtet, Dritten Kundendaten zu übergeben, wenn der Kunde dies wünscht. Bis anhin herrscht in der Schweizer Bankenwelt die Meinung vor, dass die Kundendaten der Bank gehören. Die PSD2 ist ein Paradigmenwechsel. Es wird damit ausdrücklich festgelegt, dass die Bankdaten dem Kunden gehören. Das wird dazu führen, dass die Banken sich öffnen müssen, was natürlich Wasser auf die Mühlen der Fintechs ist. Wenn ein Bankkunde die App eines Fintechs nutzen will, müssen die Banken in der EU heute die Daten herausgeben. Die Banken befürchten, dass sie dadurch letztlich den Endkundenkontakt verlieren, weil dieser zunehmend beim Fintech stattfindet. Doch die PSD2 gilt für beide Seiten und die Banken können ebenso Daten vom Fintechs verlangen. Mit unserem Digital Banking Hub wollen wir ein Bindeglied im Open Banking bereitstellen, um die verschiedenen Anwendungen miteinander zu verbinden. Denn, wie eine unserer europaweiten Umfragen zeigt: Bankkunden wünschen sich eine Banking-App, die offen ist und die Lösungen verschiedener Anbieter miteinander verbindet. Im Corporate Banking ist das schon lange Standard, Unternehmen haben schliesslich mehrere Bankbeziehungen. Wenn Sie als Privatkunde aber Ihren Vermögensstand herausfinden möchten, müssen Sie heute die Konto- und Depotbestände bei jeder Bank einzeln abfragen und selber zusammenzählen.
Wenn Sie Präsident der Schweizer Bankiervereinigung wären, was wäre Ihr Wunsch?
Schuster bleib bei deinen Leisten! Diese Aufgabe traue ich mir nicht zu (lacht). Von der Finma wünschte ich mir allerdings, dass sie mehr für die Förderung neuer Banken eintritt, anstatt neue Entwicklungen mit weiteren Regulatorien zu verhindern. Die Finma setzt kleineren Banken immer höhere Hürden, sodass es für diese zunehmend schwieriger wird, sich am Markt behaupten zu können.
Bis 2016 waren Sie CEO und Verwaltungsratspräsident, dann haben Sie den CEO-Posten an Thomas Avedik übergeben. Was hat sich damit für Sie verändert?
Ich stehe nicht mehr gleich im Rampenlicht. Vorher war die Crealogix mit meiner Person identifiziert, jetzt ist das Thomas Avedik. Das ist auch okay so, aber dessen sollte man sich bewusst sein. Darüber hinaus hat sich natürlich meine Agenda verändert. Als CEO ist man für alles und jeden zuständig und kann selten nach einem Tagesplan arbeiten, den man sich vorgenommen hat. Man ist viel mehr fremdbestimmt. Jetzt kann ich meine Zeit besser einteilen und selbst entscheiden, wann ich was erledigen will.
Wann haben Sie mit der Nachfolgeplanung begonnen?
Ich habe dem Verwaltungsrat relativ früh kommuniziert, dass ich mit 58 den CEO-Posten abgeben möchte. Schliesslich ist nicht garantiert, dass die Nachfolge auf Anhieb funktioniert. Ich habe genügend Situationen erlebt, in denen der Patron erst mit 65 seine Nachfolge einleitete. Vielfach waren diese Personen noch mit 70 im Amt.
Jetzt haben Sie mehr Zeit für anderes – oder sind sie immer noch sehr nah am operativen Geschehen?
Mich interessiert als VRP natürlich schon, was läuft und geht. Ich halte mich aber strikte daran, nicht ohne das Wissen und Einverständnis vom CEO Thomas Avedik direkt mit Mitarbeitenden zum operativen Geschäft Stellung zu nehmen oder irgend eine Anweisung zu erteilen.
Was wünschen Sie sich für den Werkplatz Schweiz?
Für den Bankensektor wünschte ich mir, dass die Zeit der Negativzinsen endlich vorbei wäre. Dann würden die grundsätzlichen Businessmodelle der Banken wieder funktionieren. Die heutige Situation ist eine riesige Herausforderung, weil die Banken zu wenig Geld verdienen. Sie brauchen dringend neue Businessmodelle, aber wissen noch nicht, wie diese explizit aussehen sollen. Die Digitalisierung wird aber bestimmt einer der nachhaltigen Treiber für die Banken sein. Für den Werkplatz wünschte ich mir wieder mehr Flexibilität und Leistungsbereitschaft. Viele jüngere Arbeitnehmende sind kaum mehr bereit, etwas mehr Einsatz zu leisten. Sie arbeiten vielfach Teilzeit, weil ihnen dies zum Leben reicht. Diese Trägheit hat natürlich mit unserem Wohlstand zu tun. Ich frage mich einfach, ob das auf die Dauer gut geht.