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Management

Polen – etatistische Regulierung reloaded

Der Staat greift ein, wo der Markt nicht funktioniert. Das scheint in Polen recht gut zu funktionieren. Warschau blüht auf.
Foto: iStock / Antagain

Das Land im Osten ist ein immer noch unterschätzter, aufstrebender Markt. Gut möglich, dass Polen bald schon zu den mächtigsten Volkswirtschaften weltweit zählt. Dabei greift die neue osteuropäische Wirtschaftsmacht auf alte Erfolgsrezepte zurück.

Warschaus Stadtbild, noch vor zwanzig Jahren eine Reminiszenz an den sozialistischen Klassizismus, hat sich dramatisch verändert. Der Kultur- und Wissenschaftspalast, einst Wahrzeichen der Stadt, wirkt heute wie ein Fremdkörper inmitten von modernen Wolkenkratzern, die den Status Warschaus als wachsende osteuropäische 1,7-Millionen-Metropole der Finanzwirtschaft und Industrie spiegeln. Polen ist ein immer noch unterschätzter, aufstrebender Markt. Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu, aber es schadet sicher nicht, wenn Morgan Stanley dem Land in Aussicht stellt, ganz oben auf der Warteliste zur Vereinsmitgliedschaft des Clubs der reichsten und mächtigsten Volkswirtschaften zu stehen.

Seit dem Erfolg der sich wirtschaftlich rasend schnell entwickelnden südostasiatischen Tigerstaaten, allen voran Südkorea, hat sich kaum ein Land in diesem rasanten Tempo entwickelt. Polen hat es binnen kürzester Zeit geschafft, sich nachhaltig im Kreis der 25 grössten Volkswirtschaften der Welt zu etablieren. Vor allem dem starken Inlandskonsum, steigenden Exporten und munter steigenden Investitionen ist es zu verdanken, dass Polens Wirtschaft auch 2017 um 4,6 Prozent wuchs. Derzeit beträgt das BIP/Kopf in Polen bereits rund 70 Prozent des EU-Durchschnitts – zehn Jahre zuvor lag es noch bei 53 Prozent.


Wo aber geht die Reise hin? Der Staat soll sich dort einmischen, wo der Markt nicht richtig funktioniert. Auf der Suche nach einem neuen Wachstumsmodell für Polen will die neue Regierung die Wirtschaft nach dem Vorbild der Tigerstaaten regulieren, wo der Staat Wirtschaftswachstum sichert und die Volkswirtschaft somit weniger abhängig von ausländischen Investitionen ist. Etatismus ist im Trend, auch die US-amerikanischen Wähler haben mit Trump «America first» gewählt. Der polnische Weg gefällt den Protagonisten der EU nicht, bislang ist er allerdings von Erfolg gekrönt.

Polen hat gewählt 

Am 10. Mai 2015 errang bei den Präsidentschaftswahlen überraschend Andrzej Duda, ein der nationalkonservativen Partei Recht & Gerechtigkeit (PiS) nahestehender Kandidat, den Sieg. Wenige Monate später zog die PiS auch bei den Parlamentswahlen nach und erzielte die absolute Mandatsmehrheit. Die Partei war angetreten, den Wohlstand der Bevölkerung durch umfassende Sozialprogramme, eine Reindustrialisierung sowie eine höhere Unabhängigkeit von ausländischen Direktinvestitionen zu erhöhen.

Zunächst herrschte in Wirtschaftskreisen grosse Skepsis. Die hielt jedoch nicht lange an, denn die (unerwarteten) Erfolge sprachen für sich. Die Konsumentenstimmung befand sich in den letzten zwei Jahren auf dem höchsten Stand in der Geschichte des Landes, die Ausgaben der privaten Haushalte zeichnen immerhin für 61 Prozent des polnischen BIP. Nach +3,1 Prozent 2015 und +3,9 Prozent im Jahr 2016 hat der Konsum der Privathaushalte 2017 um +4,8 Prozent zulegt. In Folge der guten Wirtschaftslage konnte die Erwerbslosenquote von im Jahr 2013 13,5 Prozent auf 6,8 Prozent im Februar 2018 senken (4,4 Prozent nach EU-Lesart). Die Bruttolöhne wuchsen 2017 nominell um +5,6 Prozent. Im Vergleich zu Ländern der Euro-Zone ist das Lohnniveau von ca. 1.090 EUR brutto nach wie vor niedrig. Allerdings sind die Lohnkosten in Polen in den letzten zehn Jahren um 75 Prozent gestiegen – in der EU insgesamt etwa 24 Prozent. 

In den vergangenen Jahren schlug sich auch die Senkung des Referenz-Zinssatzes in einem sehr guten Außenhandelsergebnis nieder. Zuvor im Jahr 2016 auf 4.50 gesunken, erholte sich der polnische Zloty gegenüber dem Euro 2017 und notierte Anfang April 2018 bei rund 4.20. Die Einführung des Euro ist zunächst nicht geplant. Die Polnische Nationalbank hat ihr Euro-Integrationsamt geschlossen, der aktuelle Premier erwägt eine Einführung erst „in 10 bis 20 Jahren“. Im vergangenen Jahr wurde ein Defizit von 2,9 Prozent des BIP geplant – das konnte substantiell unterschritten werden: 2017 belief sich die effektive Neuverschuldung auf 1,9 Prozent des BIP, für 2018 wird mit 2,4 Prozent gerechnet. Mit 51,5 Prozent ist die Gesamtverschuldung Polens unter dem Maastricht-Limit von maximal 60 Prozent des BIP.

Regierungsumbau und Kurskorrektur

Am 7.12.2017 erklärte Premierministerin Beata Szydło ihren Rücktritt. Ihr Nachfolger wurde der bisherige Vizepremier Mateusz Morawiecki, vormals Vorstandsvorsitzender der polnischen Bank Zachodni WBK.  Anfang 2018 fand dann eine Regierungsumbildung statt, in deren Zuge die Köpfe der Ministerien für Auswärtiges, Investitionen und Entwicklung, Unternehmen und Technologie und Finanzen ausgetauscht wurden. Im Zentrum der Kurskorrektur stand die Stärkung der Rolle des Staates. Morawiecki bezeichnete sie als einen «notwendigen Schritt, da das private Kapital zu schwach und vorsichtig sei». Der Staat sei eine «treibende Kraft hinter dem Unternehmertum, Ersparnissen, Investitionen und Innovationen». Auf der Agenda stünde nun vor allem die staatliche Förderung und Unterstützung mittelständischer Unternehmen. Ex-Bankchef Morawiecki hatte sich zudem vorgenommen, auf Kuschelkurs mit der EU zu gehen. Er hiess alle ausländischen Investoren willkommen und rief eine «Verfassung für Business» ins Leben, ein Paket von Gesetzen, die im März vom Parlament verabschiedet wurden. Sie sollten etwa unnötige Bürokratie beseitigen und sahen Steuervergünstigungen für Neugründungen vor. Die EU-Institutionen goutierten die Bemühungen und kommentierten die Regierungsumbildung überwiegend positiv.

Getarnter Sozialismus?

Innenpolitisch stehen für die Regierung unter Premierminister Morawiecki vor allem drei Themen im Vordergrund: Familien, Arbeit und Wohnungen. Neben den erwähnten positiven volkswirtschaftlichen Entwicklungen sind einige der umgesetzten Maßnahmen der PiS-Regierung aus ökonomischer Sicht durchaus problematisch. So gibt es zum einen seit Februar 2016 eine neue Bankenabgabe, der zufolge alle Geldhäuser, deren Aktiva 4 Milliarden PLN überschreiten, 0,44 Prozent Aktiva-Steuer zahlen müssen. 2016 wurde eine zusätzliche Umsatzsteuer für grosse Handelsketten in Höhe von 0,8 bzw. 1,4 Prozent eingeführt. Diese musste allerdings nach Intervention der Europäischen Kommission, die die Steuer als rechtswidrige verdeckte Beihilfe qualifizierte, zurückgenommen werden. Anfang 2018 trat dann ein Gesetz zum Handelsverbot am Sonntag in Kraft, demzufolge die Geschäfte 2018 an zwei Sonntagen im Monat, 2019 an drei Sonntagen und ab 2020 an allen Sonntagen geschlossen bleiben. Große Sorge bereitet die Rücknahme der von der Vorgängerregierung beschlossenen Pensionsreform. Per 1.10.2017 wurde eine erneute Absenkung des Rentenalters auf 60 bzw. 65 Jahre beschlossen, was den Haushalt erheblich belastet. Zudem verschärft die Massnahme den ohnehin bestehenden Fachkräftemangel, der trotz der mittlerweile etwa 1,5 Millionen ukrainischen Arbeitskräften weiterhin schwelt. Schätzungen zufolge könnten der polnischen Wirtschaft bis 2030 bis zu zwei, bis 2050 über zehn Millionen Arbeitskräfte fehlen.

Keine Angst vorm starken Staat

Sozial ist aber nicht gleich sozialistisch. Auch wenn manch die Wählerklientel begünstigende sozialpolitische Entscheidung der PiS-Regierung – manchmal zugegebenermassen mit viel Pathos und Tamtam über die polnische Nation vorgetragen – Sorge bereitet, so dominieren doch die positiven Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und soziale Kohäsion, die eine günstige Prognose für Polens Volkswirtschaft nahelegen. Vor allem der im Februar 2017 verabschiedete Plan zur verantwortlichen Entwicklung der Wirtschaft («Morawiecki Plan») hat das Potenzial, die polnische Wirtschaft in den nächsten Jahren auch weiter voranzubringen. Der Plan beinhaltet etwa Massnahmen zur Reindustrialisierung, die Unterstützung innovativer Firmen und Startups sowie die Errichtung eines Entwicklungsfonds zur gezielten Förderung einzelner Branchen. Auch die Absenkung der Körperschaftssteuer CIT für kleine Firmen von 19 Prozent auf 15 Prozent ist ein vielversprechendes Signal. Alles in allem ist die «Polen-First-Politik» der nationalkonservativen Regierung – da sprechen die Zahlen für sich – für Polens Volkswirtschaft kein Schreckgespenst, sondern ein Segen. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Bislang deutet wenig darauf hin, dass der neue osteuropäische «Tiger» in absehbarer Zeit ins Wanken geraten wird.