Wie hat sich das Verhalten von Internetnutzern und Kunden im Internet verändert?
N. Hipp: Am Anfang stand das Surfen. Dann kamen die Suchmaschinen. Heute kommen viele User von Facebook, YouTube, LinkedIn und anderen Plattformen direkt auf die Website. Auf Social Media erhalten User Links und Tipps aus ihrer Community. Die Kanäle sind auch untereinander vernetzt, beispielsweise wenn ich mich mit anderen Social Media Profilen registriere, und ergeben so ein transparentes Profil der User. Die Benutzer geben persönliche Daten für eine kostenlose Nutzung mit Werbung. Dank der Datenmenge ist die digitale Werbung gezielt und, im Gegensatz zur analogen Werbung, gut kontrollierbar. Darum raten wir KMU, die Chancen von Social Media und der digitalen Werbung auch zu nutzen.
Das tönt gut für grosse Akteure, die entsprechende Budgets haben. Aber was ist mit den typischen Schweizer KMU?
D. Niklaus: Ein typisches Schweizer KMU jongliert immer mit begrenzten Mitteln. Wir wurden vom Verband Detailhandel Appenzell angefragt, ob wir in der Digitalisierung unterstützen. Wir beteiligten uns in strategischen Workshops, wo wir mit dem Vorstand ein Marketingsystem konzipierten, um mehr Besucher nach Appenzell zu bringen und auf Social Media zum Shopping anzuregen. Da mussten viele Bedenken aus dem Weg geräumt werden.
Was waren das für Bedenken?
N. Hipp: Da gebe ich nur ein paar Beispiele: Social Media braucht kein Mensch. Wir wollen nur echten Kundenkontakt. Digital ist nicht das echte Leben. Unsere Lernenden machen Instagram und das reicht. Ich klicke keine Werbung im Internet an. Und so weiter. Die Bedenken mussten wir gemeinsam mit dem Vorstand über Monate ausräumen. Für die Mitglieder hielten wir Referate über Social Media und Influencer Marketing. Weiter gab es Frühstück-Treffs, wo sie Fragen stellen konnten. Die Mitglieder mussten aber selbst herausfinden, dass sie nur gemeinsam und mit viel Geduld die Marketingziele erreichen konnten. Der Kanton glaubte an das Vorhaben und unterstützte es finanziell als Innovationsprojekt. So konnten das Konzept für das Marketingsystem und eine faire, interne Preisgestaltung ausgearbeitet werden. Wir sind jetzt im zweiten Jahr des Projekts. Appenzell fährt drei saisonale Werbekampagnen auf dem System.
Was sind die Vorteile einer solchen Kooperation?
D. Niklaus: Der grösste Vorteil ist, die 74 Appenzeller Geschäfte können zu Sonderkonditionen teilnehmen und saisonale Themen und Aktionen bewerben. Gemeinsam bringen die Geschäfte ein grosses Volumen zusammen für Produktion, Verwaltung und Auswertung. Weiter kann der Verband die Teilnahme an externe Firmen verkaufen und erhält so Geld zurück. Die Kooperation hilft auch kleinen Appenzeller Geschäften, attraktive Klickpreise und eine super Reichweite zu erzielen. Weiter wurden gemeinsame Kanäle und saisonale Landingpages über die Laufzeit ausgebaut. So bilden sich immer mehr Synergien, und nicht zuletzt wird Know-how auf einzigartige Weise kumuliert. Die gesammelten Daten werden automatisiert und für alle verständlich aufbereitet. Basierend auf den Daten kann die Strategie laufend geschärft werden.
Sie raten den KMU, gemeinsam mit ihren Konkurrenten so ein System einzurichten?
D. Niklaus: In jedem Fall sollen sich KMU überlegen, welche gemeinsamen Ziele sie mit ihren Konkurrenten verbinden. Das wurde schon immer so gemacht. Darum wurden Verbände gegründet, die gemeinsame Interessen verfolgen. Dieses Prinzip gilt es jetzt in die digitale Welt zu übertragen. Wichtig ist, das Informationsverhalten der Zielgruppe zu analysieren. Aber auch anzuerkennen, dass die Datengewinnung ein grosser Vorteil des digitalen Marketings ist. Systeme unterstützen dabei auch mit künstlicher Intelligenz, die Daten auszulesen. Strategische Überlegungen sollten schon in der Konzeption angegangen werden. Wir bauen Projekte von Anfang an wachstumsfähig auf.
N. Hipp: Insbesondere neben grossen Mitbewerbern lohnt sich eine Kooperation. Wir haben Kunden in der Telefoniebranche, die gegen Klickpreise konkurrenzieren müssen, die von grossen Playern auf dem Markt in die Höhe getrieben werden. Wer hier eine Nische erfolgreich besetzen möchte und den Kunden online Erlebnis und Nutzen anbieten will, braucht Startkapital und einen langen Atem. Darum lohnt es sich, so ein Projekt im Verbund zu stemmen und langfristig zu finanzieren. Die Prozesse müssen schon am Anfang smart aufgesetzt werden. So können KMU gemeinsam einen richtig
grossen Schritt Richtung Digitalisierung machen.