11. Juni 2015

«Gleichberechtigter Zugang zum europäischen Markt»

(pi) Herr Stadler, im Jahresbericht des Fasmed ist davon die Rede, dass die Schweizer Medizintechnik derzeit vor vielfältigen Herausforderungen steht. Welche davon sind die dringlichsten?

Zum einen stellt die Frankenstärke oder Euroschwäche die exportierenden Unternehmen vor existenzielle Entscheidungen. Sie müssen Effizienzmassnahmen treffen und über Produktionsauslagerungen nachdenken. Aber auch Händler sind davon betroffen. Ihre Leistungen werden oft unqualifiziert und unter Ausblendung der lokalen Wertschöpfung an den Auslandspreisen gemessen. Zum andern sorgen die Sparmassnahmen im Gesundheitswesen für grossen Preisdruck.

Wie äussert sich das?

Die Konsolidierung auf dem Medtech-Markt ist eine Folge davon. Hinzu kommt die stetig zunehmende Regulierung, was insbesondere die KMU unserer Branche fordert. Auch die Tendenz zur Isolation der Schweiz ist beunruhigend: Die Masseneinwanderungs-Initiative führt zu einem Fachkräftemangel, der die Attraktivität des Medtech-Standorts Schweiz schwächt. Und sollte deren Umsetzung den freien Warenverkehr mit der EU tangieren, wäre dies für die Schweizer Medtech zusätzlich verheerend. Ihr grösster Absatzmarkt ist die EU.

Welche Rolle spielt generell die EU für die Schweizer Medtech-Branche?

Der gleichberechtigte Zugang zum europäischen Markt ist von gros­ser Bedeutung. Die gegenseitige Konformitätsanerkennung bei der Inverkehrbringung von Produkten setzt harmonisierte Rechtsordnungen voraus. Es liegt deshalb im vitalen Interesse der Schweizer Medtech, dass die bald zu erwartende EU-Neuregulierung von Medizinprodukten auch in der Schweiz zeitnah umgesetzt wird. Dabei gilt es, keine zusätzlichen Anforderungen aufzustellen, die den Standort Schweiz gegenüber dem umliegenden Ausland benachteiligen.

Welche Lösungsansätze kann es für die genannten Herausforderungen geben, und wie kann Fasmed diese unterstützen?

Um die negativen Auswirkungen der Frankenstärke zumindest teilweise zu kompensieren, setzen wir uns gemeinsam mit economie­suisse für einen Abbau von Bürokratie ein. Mit unseren europäischen Partnern und BAG, Seco sowie Swissmedic engagieren wir uns für eine sinnvolle Ausgestaltung der EU-Neuregelung und deren zeitnahe Umsetzung in der Schweiz. Die guten Rahmenbedingungen des Werkplatzes versuchen wir zudem zu erhalten, indem wir die Umsetzung des Masterplans des Bundesrates zur Stärkung der Schweiz als Standort für biomedizinische Forschung und Technologie begleiten.

Apropos Standort Schweiz: Sehen Sie Defizite in der beruflichen Aus- und Weiterbildung?

Es gibt zwar gute Initiativen von Fachhochschulen, aber das heutige Aus- und Weiterbildungsangebot reicht leider nicht aus, um den Bedarf der vielen Medtech-Firmen an Fachspezialisten zu decken. Insbesondere für Forschung und Entwicklung, Verkaufsberatung, Regulatory Affairs und Compliance fehlt spezifisches Know-how. Gemeinsam mit der Swiss Health Quality Association, shqa, und der Universität Bern hat Fasmed nun den Lehrgang zum zertifizierten Medizintechnikberater lanciert. Er wurde von vielen Fachexperten aus Mitgliedsfirmen entwickelt und vereint damit ein enormes Branchen- und Marktwissen.

Um was geht es da genau?

Seit Anfang Mai 2015 lässt sich via e-Learning das dafür nötige, fundierte Fachwissen in den Bereichen Medizin, Recht, Ethik und Compliance, Betriebswirtschaft sowie Leistung und Vergütung erwerben. Die ersten Zertifikate werden 2015 verliehen und dereinst den Marktstandard bilden. Darüber hinaus hat der Fasmed ein weiteres Berufsbild mitgestaltet …

Welches?

Für die mit der Feusi-Schule in Bern entwickelte Verbandsprüfung zum Fachmann/Fachfrau Rehatechnik wurden 2014 die ersten eidgenössischen Fachausweise verliehen. Beide Lehrgänge eignen sich auch für Neueinsteiger aus technischen Berufen

Jenseits der vielen Herausforderungen: Wo sehen Sie die Stärken der Schweizer Medizintechnik und ihrem Heimmarkt?

Im internationalen Vergleich schneidet die Schweizer Medizintechnik nach wie vor hervorragend ab: Mit 52 000 Vollzeitstellen hat das Land den grössten Anteil an allen Medtech-Beschäftigten in Europa. Hier sind mit rund 1450 Herstellern, Zulieferern, Händlern und Dienstleistern am meisten Betriebe pro Kopf angesiedelt. Mit einem Anteil von 1,1 Prozent aller Erwerbstätigen, 2,3 Prozent am BIP und 5,2 Prozent an den gesamten Schweizer Exporten toppt die Medtech-Branche sogar die EU und USA. Dabei profitiert die Branche nach wie vor von den klassischen Schweizer Standortstärken. Dazu gehören unter anderem Premium-Technologien und hohe Qualität, eine breite Wissens- und Innovations-Basis, ein stabiles Gesundheitssystem sowie erstklassige Hochschulen und Forschungsinstitutionen.

Trotzdem scheinen die goldenen Jahre des Wachstums irgendwie vorbei zu sein. Wie schätzen Sie die Entwicklung der nächsten beiden Jahre für die Schweizer Medizintechnik ein?

Eine genaue Prognose ist angesichts des volatilen Umfelds schwierig. Sicher wird das Wachstum in den nächsten Jahren gebremst bleiben. In Anbetracht dieser Entwicklungen sind attraktive Rahmenbedingungen sehr wichtig. Wir fordern ein klares Bekenntnis von der Politik zum exzellenten Standort Schweiz. Gleichzeitig sind wir zuversichtlich, dass sich die Branche weiterhin gut auf die Herausforderungen einstellt. In den letzten Jahren haben die Medtech-Unternehmen strategische und strukturelle Anpassungen vorgenommen, ihre Geschäftsmodelle und Produkte weiter entwickelt sowie ihre Prozesse und Effizienz verbessert.

Gilt das unabhängig von der Firmengrösse?

Vor allem bei den KMU wird es matchentscheidend sein, dass sie sich im globalen Umfeld behaupten und kreativ aus ihren Nischen heraus agieren. Insgesamt erweist sich die Medizintechnik auch in Krisenzeiten als stabil. Sie wird angesichts der demographischen Entwicklung und des Anspruchs der Bevölkerung auf eine hochwertige Gesundheitsversorgung weiterhin auf grosse Nachfrage stossen und eine tragende Säule der Schweizer Volkswirtschaft bleiben.

Fasmed – Dachverband der schweizerischen Handels- und Industrievereinigungen der Medizintechnik
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