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Unternehmen

«Das Problem wird verdrängt»

Christian Böhm: Social Entrepreneur und Verwaltungsratspräsident der 3Steps AG mit ihrem Brand YourPrevention™ Schweiz.
Foto: zVg

Ein Drittel der Arbeitnehmer in der Schweiz ist akut gefährdet durch Folgen der Stressbelastung. Die Work-Life-Balance scheint bei vielen Mitarbeitenden aus dem Takt geraten. Häufig reagieren die Unternehmen erst, wenn der Arbeitnehmer ausfällt. Günstiger wäre es, frühzeitig in die Prävention zu investieren, sagt Christian Böhm von YourPrevention™.

Herr Böhm, gehen Sie gerne zur Arbeit oder sind Sie manchmal gestresst?
Seit ich meine erste Firma, die Minira AG 1998 gegründet habe, gehe ich gerne zur Arbeit. Ich bin auch hin und wieder gestresst, habe über die Zeit aber gute Strategien und Methoden zur Entlastung und Entspannung erlernt. Das ist auch Einstellungssache, man muss sich eine gewisse Grundhaltung antrainieren und in den Lebensalltag integrieren.

Sie sind in verschiedenen Unternehmen aktiv. Was stresst Sie?
Das ist die heutige Geschwindigkeit und die Menge der gleichzeitigen Aufgaben. Dazu kommen zwischenmenschliche Themen, die belasten. Es ist wichtig, diese Dinge zu verarbeiten, offen zu kommunizieren und anderen wieder eine Chance zu geben.

Wie stellen Sie fest, dass Sie zufriedene Mitarbeiter haben?
Das erkennt man an ihrer Einstellung und ihrem Verhalten: Ist die Bereitschaft zur Zusammenarbeit vorhanden? Bereitet ihnen die Arbeit Freude? Lachen sie? Und natürlich gibt unser Test Auskunft zur Mitarbeiterzufriedenheit (lacht).

Hat der Stresslevel in der Arbeitswelt zugenommen?
Der Stress hat in den letzten zehn Jahren sicher zugenommen. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist keine Neuerfindung, aber meistens wird es ans HR delegiert. Doch dieses hat andere Aufgaben. Es ist fürs Recruiting zuständig, führt Jahresgespräche und kümmert sich um die Problemfälle. Wenn wir unser Programm den Firmen präsentieren, werden wir meistens an die HR-Verantwortlichen verwiesen. Ein wirksames Gesundheitsmanagement muss aber auf allen Betriebsstufen kultiviert und etabliert werden.

Stossen Sie auf offene Ohren?
Die meisten Firmen sind von unserem Programm begeistert, können aber kein Budget sprechen, da sie über kein Budget verfügen. Das Problem wird verdrängt, und der Stress nimmt weiter zu. Die Zahlen des Bundes zeigen: Ein Drittel der Arbeitnehmer ist krank, ein Drittel leidet bereits unter einer Depression oder hat ein Burnout. Dabei kann man Depression und Burnout diagnostisch nicht gleichsetzen. Unsere Zahlen, die wir jedes Jahr europaweit erheben, zeigen für die Schweiz: Von 5 Millionen Arbeitnehmer ist lediglich ein Drittel wirklich gesund. Ein Drittel hat bereits ein Burnout und leistet nicht mehr viel für die Firma. Das dritte Drittel ist latent gefährdet, hier macht Prävention sehr viel Sinn. Denn das Problem ist häufig, dass die Unternehmen erst aktiv werden, wenn es schon zu spät ist.

Was sind die Ursachen für den gestiegenen Stresslevel?
Es hat sicher mit der Digitalisierung zu tun, es betrifft aber eher den praktischen Umgang mit Social Media & Co. Man will überall mitmachen – bei den Freunden, der Partnerin und den Kindern. Und dann müssen wir uns noch um den Chef, die Arbeitskollegen und Social Media kümmern. Es ist die Summe der Einzeldinge, wie auch die gestiegenen Anforderungen in unserer Leistungsgesellschaft.

Die Work-Life-Balance ist überall Thema, was darauf hinweist, dass sie ein Problem ist.
Es ist heute Standard, dass ein Top-Manager ein Burnout hat, sonst gilt er nicht als guter Manager. Mit der Minira AG führen wir Arbeitsintegrationsprogramme auch für Kader-Leute durch. Top-Managern rate ich jeweils: Geht nicht mehr als CEO, sondern als Abteilungsleiter zurück in den Arbeitsmarkt und reduziert das Pensum. Top-Leute müssen lernen, kürzer zu treten und herunterzufahren. Doch meistens ist ihnen der Status, der mit dem CEO-Posten verbunden ist, wichtiger.

Nochmals: Setzen wir uns heute zu sehr unter Druck?
Wenn man von Stress redet, muss man differenzieren. Unsere Erhebungen zeigen, dass ein Drittel der Stressfaktoren aus dem persönlichen Umfeld stammen. Es geht um das Zuhause, die Kinder, die Familie, Ferien und die Finanzen. Oder man ist unkonzentriert, weil man gedanklich bei den persönlichen Problemen hängen bleibt.

Werden persönliche Probleme auf die Arbeit verlagert?
Ja, teilweise. Man trägt sie in die Arbeit hinein, weil gerade zwischenmenschliche Probleme einem viel Energie abverlangen.

Woran erkennt man einen gefährdeten Mitarbeiter?
Mit unserem Test.  Man kann es aber auch erkennen, wenn jemand unkonzentriert arbeitet, ständig Kurzabwesenheiten hat, über Kopfschmerzen klagt, viele Fehler macht oder die Stimmung sich verändert. Das kann Nervosität, Unruhe bis hin zur Aggressivität sein oder eher Zurückgezogenheit, Traurigkeit oder ängstliches Verhalten. 

Was kann ein Unternehmen für seine Mitarbeiter tun?
Es sollte das HR umfunktionieren und ihm eine neue, umfassendere Rolle zuweisen, sodass es sich ganzheitlich um die Ressource Personal kümmern kann. Eine Umfrage eines Grossunternehmens unter seinen Mitarbeitern zeigte, dass über die Hälfte trotz Krankheit zur Arbeit ging.

Warum?
Sie wollten den Kollegen die Doppelbelastung nicht zumuten. Oder sie hatten Angst, ihren guten Ruf zu verlieren oder nicht befördert zu werden. Viele haben auch Angst, ihren Job zu verlieren. Es gibt sehr viele Gründe. Man weiss heute, dass man Mitarbeitende lieber nach Hause schickt, damit sie wieder gesund zur Arbeit kommen. Darum kann es nicht sein, dass man bereits am ersten Krankheitstag ein Zeugnis mitbringen muss. Das sollte man flexibel handhaben und allenfalls flexible Arbeitszeiten einführen.

Viele gehen krank zur Arbeit. Müsste die Politik aktiv werden, um die Arbeitnehmer besser zu schützen?
In Deutschland müssen Firmen für jeden Mitarbeiter 500 Euro jährlich für das betriebliche Gesundheitsmanagement ausgeben. Es muss auch in der Schweiz zur gesetzlichen Pflicht werden, dass Firmen ein Gesundheitsmanagement betreiben. Wenn dafür jährlich gleich viel Budget wie für Werbung und Boni ausgegeben würde, wären wir einen grossen Schritt weiter. Die Neubesetzung einer Kaderposition kostet im Durchschnitt 77000 Franken. In der Schweiz verlieren wir auf 5 Millionen Arbeitnehmer jährlich 5 Milliarden Franken nur durch Ausfälle und Neubesetzungen.

Wie geht ihr vor, wenn eine Firma auf euch zukommt?
Unser Programm ist modular aufgebaut. Wir machen vielleicht einen Eröffnungsworkshop, um zu zeigen, wie das Programm funktioniert und wie der Einzelne davon profitieren kann. Schliesslich bieten wir unser Gesamtpaket an. Dadurch erhält ein Unternehmen eine Auswertung über den Gesundheitszustand seiner Mitarbeitenden. Dabei lassen wir jedem Mitarbeitenden einen Fragebogen mit 26 Fragen per E-Mail zukommen. Dieser enthält Fragen zu seiner Persönlichkeit, seiner Biographie und seiner aktuellen Lebenssituation. Schliesslich erstellen wir für jeden Mitarbeiter Tagesprofile zu seinem Neurotransmitter- und Cortisol-Haushalt. Die Cortisol-Werte sind der Stressbarometer im menschlichen Körper. Darüber hinaus erstellen wir eine Herzraten-Variabilitätsmessung. Daraus erkennen wir beispielsweise die Erholungsfähigkeit im Schlaf. Das alles geschieht selbstverständlich anonym und diskret. Aus diesem dreistufigen Test erstellen wir einen 20-seitigen Auswertungsbogen für jeden Mitarbeitenden. Ab 15 Mitarbeitende können wir einen Corporate Performance Index™ angeben, der Aufschluss über den allgemeinen betrieblichen Gesundheitszustand gibt. Vor allem können wir das Ausfallrisiko in der Belegschaft beurteilen, weil die Cortisol-Werte zuverlässig Auskunft zum Stresslevel geben. Und aufgrund des Fragebogens kennen wir die häufigsten Stressoren der Mitarbeitenden wie Arbeitsüberlastung, zu grosse Verantwortung, Störungen bei der Arbeit, Gesundheitsprobleme, familiäre und soziale Verpflichtungen oder finanzielle Sorgen. Darum können wir die Probleme gezielt angehen.

Was machen Sie anders als andere Gesundheitsmanager?
Ein so vielfältiges und umfassendes Programm und ganzheitliche Tests wie wir kann im Moment niemand sonst anbieten. Wir können auf Management-Ebene einwirken und Kurse für die gesamte Firma anbieten. Und schliesslich ermöglichen wir über unseren Fragebogen und das Feedbackgespräch jedem Mitarbeitenden eine Selbsteinsicht in sein Persönlichkeitsprofil, damit er sich dann auf dieser Erkenntnis mit unserer Begleitung weiterentwickelt. Wir befähigen die Mitarbeiter, selbst nachhaltig ins Tun zu kommen. Zudem beruht unser Programm auf einem wissenschaftlich fundierten Prozess, der von Medizinern erarbeitet wurde.

Was machen Sie persönlich, um ihren Stresslevel zu managen? Yoga?
Das habe ich versucht, aber mein Körper ist für Yoga nicht geboren. Ich gehe gerne in die Berge wandern und Ski fahren. Oder ich gehe schwimmen oder aufs Fahrrad. Und auf meinen letzten Geburtstag habe ich einen Crosstrainer geschenkt bekommen. Der hält mich fit. Und wenn ich auf alles das keine Lust habe, dann schalte ich einfach zu Hause ab und gönne mir Ruhe. Es geht wie bei allem im Leben um die richtige Balance, um ein gesundes Mass.