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Unternehmen

Die Migros hat bereits heute – so oder so – gewonnen

Die Migros hat bereits heute – so oder so – gewonnen
Pam Hügli.
Bild: zVg

Was bedeutet es, wenn Alkohol nach bald 100 Jahren auch bei der Migros angeboten wird? Ist dieser mögliche Paradigmenwechsel beim orangenen Riesen ein Frontalangriff auf den Markenkern und das historische Erbe?

Am 4. Juni entscheiden die Genossenschafterinnen und Genossenschafter der Migros in einer für das Unternehmen historischen Abstimmung, ob das selbstauferlegte Verkaufsverbot von Alkohol aufgehoben werden soll. Dieses existiert in der Migros seit 1928 und wurde damals ganz bewusst als Markenimage gepflegt. Zur Förderung der Volksgesundheit hatte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler entschieden, in den landesweiten Filialen keinen Alkohol zu verkaufen. Angesichts der damaligen Situation wollte er die Menschen vor Armut und Gewalt schützen, die auch durch Alkoholmissbrauch verursacht wurde.

1983 verankerten neun von zehn Genossenschaften das Verbot zum Alkoholverkauf auch formell in ihren Statuten und Verträgen: Und über genau diese Rechtsgrundlagen stimmen die Migros-Genossenschafter und -innen nun ab.

Die Unternehmerzeitung hat sich mit Pam Hügli, Studiengangsleitung CAS Brand Leadership HWZ, darüber unterhalten.

Frau Hügli, verrät die Migros gerade das Erbe ihres Gründervaters, Gottlieb Duttweiler?
Gottlieb Duttweiler hat sein Unternehmen gewissermassen an die Schweizer Bevölkerung verschenkt. Bürger und Bürgerinnen können über kostenlose Anteilscheine zu Besitzer und Besitzerinnen der Migros werden können und damit aktiv über die Zukunft der Migros mitbestimmen. Duttweiler hat den Genossenschafter/-innen damit ganz bewusst die Entscheidungshoheit übertragen. Die Genossenschafter/-innen werden am 4. Juni bestimmen, ob das Alkoholverbot noch eine hohe Relevanz für die Menschen hat. Der Wirbel um das Thema ist ja aktuell sehr gross, die Emotionen gehen hoch. Aber sind wir mal ehrlich, das Erbe wurde eigentlich schon viel früher «verraten» durch den Verkauf von Alkohol in den Kanälen Migros Online, Migrolino, Voi und auch bei Denner.

Für welche Werte steht die Migros denn heute?
Nahbar, regional, sozial, bodenständig, schweizerisch.

Und wie wichtig schätzen Sie das differenzierungsmerkmal «kein Alkohol» in der heutigen Zeit ein?
Das ist klar ein Alleinstellungsmerkmal, das macht sonst kein Detailhändler. Wird es konsequent gelebt, beweist es eine sehr klare Haltung des Unternehmens und somit der Marke. Wie hoch die Relevanz heute noch ist, den Kunden und Kundinnen bewusst keinen Alkohol anzubieten, scheint aktuell stark umstritten. Es gibt Migros-intern und unter den Genosschenaftern und -innen dazu sehr unterschiedliche Meinungen. Falls nach der Abstimmung das Merkmal seine Importanz bestätigt, müsste sich die Migros eigentlich überlegen, ob sie Alkohol konsequenterweise auch aus den Migros-Kanälen Online und Migrolino verbannt und ihre Glaubwürdigkeit damit stärkt.

Brands müssen sich doch aber auch erneuern, um up-to-date zu bleiben?
Ja, eine Marke muss Relevanz behalten, aber dabei nicht ihre Herkunft und ihren Charakter verlieren. Das Abstimmungsresultat wird zeigen, ob ein Alkoholverbot noch zeitgemäss ist oder nicht. Die Migros positioniert sich aktuell immer mehr in Richtung Gesundheit und Wohlbefinden; da würde ein konsequentes Alkoholverbot eigentlich ganz gut passen.

Wird das Migros-Kulturprozent – falls es künftig Alkohol in der Migros geben wird – die Kernkompetenzen «sozial und gewissenhaft» wettmachen können?
Die Migros engagiert sich auf sehr vielfältige Weise für unsere Gesellschaft, nicht nur mit dem Kulturprozent. Kurzfristig wird der Alkoholverkauf ein bisschen an diesen beiden Werten rütteln. Aber ich bezweifle, dass die Migros dadurch langfristig einen Image-Schaden davon tragen wird. Das Unternehmen engagiert sich nach wie vor überdurchschnittlich im Vergleich zur Konkurrenz.

Kümmert es die Genossenschafter und -innen der Migrosfamilie überhaupt, denn die meisten kaufen wohl so oder so Alkohol bei der Konkurrenz?
Offenbar ja, was ich bisher in meinem Umfeld und in den Medien verfolge, gehen die Diskussionen hoch her. Die Migros verkauft zwar eigentlich keinen Alkohol. Aber der Denner daneben ist doch praktisch für die Kundschaft und um den Umsatz nicht ganz der Konkurrenz zu überlassen. Das ist bereits heute eine inkonsequente Haltung der Migros und gibt viel her für eine Debatte unter Migros-, Coop- oder Aldi-Kindern.

Und, falls es künftig Alkohol in der Migros geben wird, wie gross ist dann die Differenzierung zur Konkurrenz Coop, Aldi und Lidl noch?
Die Migros kommuniziert das Alkoholverbot schon viele Jahre nicht mehr aktiv. Zudem ist die Glaubwürdigkeit mit dem Verkauf über andere, eigene Kanäle bereits ins Wanken geraten. Das Merkmal wirkt sich meiner Meinung nach nicht mehr stark auf die Differenzierung aus. Ich denke nicht, dass eine Aufhebung des Alkoholverbotes eine so starke Kraft hat, dass treue Migros-Käufer und -innen zur Konkurrenz wechseln – diese verkaufen sowieso alle Alkohol und Tabakwaren; im Gegenteil wird eventuell sogar eher mehr Frequenz in der Migros sein, weil die Leute für Bier und Wein den Kanal nicht mehr wechseln müssten.

Was sollte die Migros in Sachen Branding also als nächstes tun?
Dem Alkohol-Verbot wird aktuell sehr viel Bedeutung zugemessen. Die Migros ist, dank der von ihr selbst lancierten Diskussion, somit in aller Munde. Die Markenverantwortlichen der Migros sollten also weiterhin das tun, was sie aktuell tun, denn das machen sie offensichtlich sehr gut.

Was sagt ihr Bauchgefühl in Sachen Abstimmung: eher ja oder nein?
Ich vermute, die Leute geben sich gerne bei einer Abstimmung als Gutmenschen, folgen der Moral und wollen ihre Migros behalten, so wie sie ist. Bier und Wein wollen sie aber gerne um die Ecke bei Denner kaufen können. Das hat die Migros bereits gut organisiert. Darum kann man auch alles beim Alten belassen, was die Eidgenossen und Eidgenossinnen ja im Zweifel immer gerne so machen. Die Marke bekommt aktuell viel Engagement, Emotionen und Aufmerksamkeit – die Migros hat darum bereits heute – so oder so – gewonnen.