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Unternehmen

«Flexibilität hat mit Freiheit zu tun»

Viktor Calabrò ist Gründer und Executive Chairman von Coople.
Bild: Coople

Alle reden von Vereinbarkeit, trotzdem sind Teilzeit-Jobs eine Seltenheit. Dabei würde die technologischen Möglichkeiten inzwischen in fast jedem Beruf flexible Arbeitsmodelle erlauben. Es sei unverständlich, dass Arbeitnehmer noch immer in starre Modelle gezwängt werden, sagt Viktor Calabrò. Mit dem Gründer und Executive Chairman von Coople haben wir uns über Flexibilität und die Arbeitswelt von morgen unterhalten.

Interview: Roman Brauchli

Herr Calabrò, wie viel Prozent arbeiten Sie? Sicher mehr als 100. Etwa 150?
Viktor Calabrò: Das könnte hinkommen. Als Unternehmer ist man natürlich ständig dran.

Was halten Sie von Teilzeit-Geschäftsführung? Kann das in der Praxis wirklich bestehen?
Die Frage ist, was heisst Teilzeit. Ist man mental nur Teilzeit präsent oder physisch vor Ort? Ich denke, ein Teilzeit-Modell kann funktionieren, es kommt jedoch auf Rolle an. Wenn ich ein Team führe, ist es schwieriger, als wenn ich ein Innovationsprojekt losgelöst vom Tagesgeschäft betreue. Ich bin in der privilegierten Lage, dass ich eine gewisse Unabhängigkeit habe. Wenn ich einen Tag im Home-Office arbeite, ist das fast wie Ferien. Was ich für problematisch halte: Unternehmertum im 50-Prozent-Pensum. Als Unternehmer geht es darum, die Sache zum Fliegen zu bringen.

Nochmals: Ist Teilzeitarbeit in wichtigen Führungsfunktionen heute möglich?
Definitiv. Die Frage ist, welche Aufgaben ich wahrnehme – und nicht welche Rolle. Als Führungskraft muss ich nicht unbedingt jeden Tag vor Ort präsent sein, wenn ich die richtigen Leitplanken gesetzt und den Mitarbeitern die nötigen Kompetenzen übertrage habe.

Ist es ein Erfordernis der modernen Arbeitswelt, dass Mitarbeiter eigenständiger entscheiden?
Ja. Die aktuellen Megatrends führen auf der einen Seite zu einer räumlichen Flexibilisierung. Mitarbeiter wollen nicht mehr jeden Tag ins Büro gehen. Das führt dazu, dass man den Mitarbeitern vertrauen muss, weil man sie nicht ständig kontrollieren kann. Grundsätzlich führen flexible Arbeitsmodelle zu einem zunehmend aufgabenbasierten Rollenverständnis. Ich habe nicht mehr einen KV-Angestellten, der die ganze Zeit im Büro vor Ort ist, sondern bestimmte Aufgaben. Die effizienteste Form der Arbeit wäre, wenn ich für jede einzelne Aufgabe die richtige Person finde. Aus einer Führungsperspektive heraus ist das natürlich sehr anspruchsvoll.

War das früher anders?
Flexibilität war schon immer ein Thema, nur die entsprechenden Arbeitsmodelle wurden nicht angeboten. Wer in einem flexiblen Modell arbeiten wollte, hatte Schwierigkeiten überhaupt einen Job zu finden, geschweige denn eine Wohnung, da kein fixer Arbeitsvertrag vorlag. Bei diesem Teufelskreis setzt Coople an und bietet der Community an flexiblen Arbeitskräften bessere Möglichkeiten und mehr Fairness. Zu unseren Arbeitnehmern zählen unter anderem Studierende, Pensionierte oder Eltern. Es gibt sehr viele Zielgruppen, die aus unterschiedlichen Gründen ein flexibles Arbeitsmodell bevorzugen. Zudem findet ein allgemeiner Mentalitätswandel in der Arbeitswelt statt. Früher war das Leben um die Arbeit zentriert, für immer mehr Menschen stimmt das nicht mehr, und hier hilft die Technologie weiter. Jemand kann für zwei Monate im Jahr in Spanien leben und von dort aus arbeiten. Das ist moderne Flexibilität und hat auch mit Freiheit zu tun.

Was sind die Treiber für diesen Mentalitätswandel?
Auf der einen Seite die Digitalisierung, die nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die finanziellen Ausgaben im Leben beeinflusst. Ich brauche mir beispielsweise keine Ferienwohnung mehr zu kaufen, sondern kann über Airbnb oder eine andere Plattform günstig eine Wohnung mieten. Die Menschen konsumieren dann, wenn sie etwas brauchen und stellen sich zunehmend Frage, wozu sie überhaupt Geld verdienen. Die Just-in-time-Mentalität, die die Technologie ermöglicht, kommt immer mehr. Früher hat man seine Reisen vier Monate im Voraus geplant, heute buche ich den Flug auf dem Weg zum Flughafen. Die Frage ist, warum diese Entwicklung vor der Arbeit haltmachen soll.

Sehen Sie Grenzen der Flexibilisierung?
Natürlich. Häufig ist davon die Rede, dass die Leute in die Flexibilität gezwungen werden. Viele Menschen wollen eine feste Stelle und ein geregeltes Leben. Auf diesen Wunsch ist natürlich Rücksicht zu nehmen. Mein Standpunkt ist nur, dass immer noch viele Arbeitnehmer in ein starres Modell gezwungen werden, die gerne flexibel arbeiten würden.

Flexibilisierung wird als Freiheit verkauft, ist aber ein Abstieg in prekäre Arbeitsverhältnisse. Was sagen Sie zu dieser These?
Flexible Modelle kann man gut oder schlecht einsetzen. Richtig eingesetzt, bedeuten sie mehr Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Wir sind davon überzeugt, dass flexible Arbeitsmodelle für die Mitarbeiter mit vielen Vorteilen verbunden sind, sofern sie richtig eingesetzt werden. Bei Coople betreiben wir einen entsprechenden Mehraufwand im Vergleich zu Uber beispielsweise, das seine Fahrer als Selbständige behandelt. Das entspricht nicht unserem Verständnis von Flexibilität.

Welche Jobs eignen sich für ein flexibles Modell?
Eigentlich alle. Die Frage ist eher, welche Aufgaben eines Jobs sich flexibel organisieren lassen. Wenn ich Geschäftsführer eines KMU bin und ein Marketingkonzept schreiben muss, kann ich mich fragen, ob ich überhaupt die richtige Person dafür bin. Nur weil ich Geschäftsführer bin, heisst das nicht, dass ich ein guter Marketeer bin. Da gibt es Freelancer oder Pensionierte, die diese Aufgabe viel besser erledigen. Die entscheidende Frage ist, wie viel Einarbeitungszeit ich für eine Aufgabe benötige. Für die Ausarbeitung der Unternehmensstrategie muss ich mich natürlich länger mit einem Unternehmen beschäftigen.

Für welche Bereiche bietet ihr Personal an?
Wir sind in Branchen gestartet, die gewohnt sind, mit flexiblen Modellen zu arbeiten, zum Beispiel die Gastronomie. Inzwischen bieten wir auch Personal für den Detailhandel, im kaufmännischen Bereich und auch Blogger und Dekorateure finden auf unsere Plattform. Am Flughafen Zürich kommt man kaum um Coople-Mitarbeiter herum, sei es in der Flugzeugreinigung, in der Gepäckabfertigung, im Check-in oder in den Restaurants.

Was unterscheidet euch von einem traditionellen Personalvermittler wie Adecco?
In der Temporärbranche dauert ein durchschnittlicher Job rund drei Monate, bei uns etwa zwölf bis 14 Stunden. Das zeigt die Dynamik und die Geschwindigkeit des Business. Aus diesem Grund müssen wir effizienter arbeiten als ein traditioneller Verleiher, weil die Marge sonst zu tief ist. Die administrativen Arbeiten wie Lohnabrechnungen fallen schliesslich trotzdem an. Darum verstehen wir uns als Produkthaus, das ein Problem im HR löst. Traditionelle Temporärfirmen sind Sales-Organisationen, die die Arbeit des Kunden in einem Outsourcing-Modell abwickeln. Wir sind hingegen auf die «letzte Meile» des Personalmanagements fokussiert, die wesentlich anspruchsvoller ist, weil es in der Regel schnell gehen muss. Wenn man jemanden in zwei Stunden braucht, dann stellt bereits die Erreichbarkeit ein Problem dar.

Coople hat es in die «Tech-Tour-Growth-50»-Liste geschafft. Damit wird dem Unternehmen ein Unicorn-Potenzial zugesprochen. Wo steckt dieses Potenzial?
Der Temporärmarkt ist weltweit ein 400-Milliarden-Markt. Hinzu kommt, dass viele Firmen gar nicht mit Verleihern arbeiten und selbst versuchen, die temporären Mitarbeiter zu rekrutieren. Der Markt ist wahrscheinlich mehr als doppelt so gross, vor allem, wenn man den Schwarzmarkt dazu rechnet. Das ist die Situation heute – mit all den Problemstellungen, die flexible Arbeitsmodelle mit sich bringen. Und wir glauben, dass der Markt noch weiteres Potenzial hat, wenn wir die Hindernisse auf dem Weg hin zu flexiblen Arbeitsmodellen abbauen können.