Gastbeitrag von Thomas Lustgarten, Chairman Bain & Company Schweiz
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erwartungen sind differenziert – und sie verändern sich, wie Studien immer wieder zeigen. So wollen beispielsweise fast drei Viertel der Verbraucherinnen und Verbraucher weltweit ihr Konsumverhalten bestimmt oder zumindest wahrscheinlich ändern, um ihren ökologischen Fussabdruck zu verkleinern.
Weit über zwei Drittel der Investoren achten nach eigenen Angaben heute mehr auf Nachhaltigkeit als vor fünf Jahren. Selbst in den USA erwarten drei von vier jüngeren Beschäftigten von ihrem Arbeitgeber eine aktive Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels. Und dies wird auch in der Schweiz immer stärker spürbar.
Transformation anstossen
Wer diese Bedürfnisse als Unternehmen erkennt und für sich zu nutzen weiss, kann gleich mehrfach gewinnen – Verkäufe steigen, Bewertungen sind höher und die Belegschaft ist loyaler. Tatsächlich nehmen die Umsätze, die mit als nachhaltig vermarkteten Produkten erzielt werden, laut Marktanalysen schon heute fast sechsmal so schnell zu wie die mit anderen Artikeln.
Vorreiter geben sich nicht allein mit defensiven Massnahmen zufrieden, um ihr Geschäftsmodell unter veränderten Rahmenbedingungen zu schützen. Sie bereiten sich vielmehr mit einer tiefgreifenden Transformation auf eine emissionsarme Zukunft vor.
Ein Beispiel hierfür ist der Bosch-Konzern mit Ablegern in der Schweiz. Nach eigenem Bekunden seit 2020 klimaneutral, forciert er nun die Entwicklung neuer Produkte und Dienste, um Kundenunternehmen bei ihrer Dekarbonisierung zu unterstützen.
Die Weiterentwicklung des bestehenden Geschäfts ist einer von drei strategischen Ansätzen, um nach der Digitalisierung den nächsten disruptiven Wandel innert kurzer Zeit zu meistern. Die Alternativen sind der Aufbau eines zweiten Kerngeschäfts sowie die grundlegende Veränderung desselben.
Der finnische Ölkonzern Neste schuf sich mit Biokraftstoffen binnen weniger Jahre ein zweites Standbein. Mittlerweile ist er der weltgrösste Hersteller von Biodiesel. Dong Energy aus Dänemark, früher ein Gas- und Ölkonzern, wagte den Neustart und ist heute unter dem Namen Ørsted ein führender Anbieter von Offshore-Windenergie.
Greenwashing vermeiden
Zweifellos birgt jede Form der Transformation Risiken. Noch fällt es den meisten Unternehmen schwer, ihr Geschäft nachhaltiger und damit emissionsärmer zu gestalten oder gar völlig umzukrempeln. So hat Bain ermittelt, dass bislang weltweit nur vier Prozent der Nachhaltigkeitsinitiativen in Unternehmen sämtliche Ziele erreichen.
47 Prozent scheitern. Doch diese Ergebnisse sind Ansporn, der Integration von Nachhaltigkeit in die Firmenstrategie und deren Umsetzung nun endgültig höchste Priorität einzuräumen. Denn in Windeseile entstehen Milliardenmärkte – von E-Autos über Fleischersatz bis hin zu ESG-konformen Finanzprodukten.
Damit steigt allerdings gleichzeitig die Gefahr des Greenwashings. Es kann durchaus der Anreiz entstehen, der veränderten Nachfrage mit einem lediglich marginal angepassten Angebot zu begegnen. So zeigt beispielsweise eine aktuelle Bain-Befragung von Kundinnen und Kunden Schweizer Retail-Banken, dass fast 50 Prozent eher ein Produkt ihrer Hausbank kaufen würden, wenn diese ESG-konform agiert. So weit, so gut.
Doch bleibt es in den Augen der Kundschaft bei den Banken nur bei Lippenbekenntnissen, stürzt die messbare Kundenloyalität signifikant ab.
Wie aber können Unternehmen solchen Risiken begegnen und die Transformation hin zu klimaneutralen Geschäftsmodellen bewältigen? Am Anfang muss eine ehrliche Bestandsaufnahme stehen. Basierend darauf gilt es dann seitens des Topmanagements klare und nachvollziehbare Ziele zu formulieren.
Der Private-Equity-Investor Blackstone etwa will bei allen neuen Beteiligungen, bei denen er den Energieverbrauch kontrollieren kann, die Emissionen in den ersten drei Jahren nach Übernahme um 15 Prozent reduzieren. Zahlreiche andere Unternehmen haben sich je nach Geschäftsmodell verpflichtet, bis zu einem bestimmten Datum klimaneutral zu sein.
Kostenvorteile nutzen
Wandel geschieht indes selten zum Nulltarif. Noch fürchten viele Unternehmen daher vor allem einen Kostenfaktor. Doch Automobilzulieferer zum Beispiel können immerhin bis zur Hälfte der Emissionen über Dekarbonisierungsprojekte mit einem positiven Return on Investment einsparen, wie wir kürzlich in einer Analyse dargelegt haben.
Das gilt insbesondere für Initiativen zur Steigerung der Energieeffizienz, unter anderem durch einen modernen Maschinenpark oder durch Prozessoptimierungen, teilweise aber auch für den Umstieg auf grünen Strom.
Zwei weitere Faktoren gewährleisten, dass die Dekarbonisierung ein Erfolg wird: die Anpassung der gesamten Organisation – von der Forschung bis hin zum Vertrieb – an die neuen Rahmenbedingungen sowie eine umfassende Kommunikation mit allen Stakeholdern. «Tue Gutes und rede darüber», heisst die Devise.
Vorreiter schaffen hierzu neue Netzwerke und binden an den richtigen Stellen Lieferanten, Regierungen, NGOs und Wettbewerber ein – zum Wohl der Umwelt und zum Wohl des eigenen Unternehmens. Denn Vorreiter wissen: Strategisch klug aufgesetzt wird sich durch die Dekarbonisierung schon in dieser Dekade eine entscheidende Wachstumschance bieten.