Massimo Lusardi, hat die Corona-Krise der Unternehmungsberatung Bain & Company genützt oder geschadet?
Trotz der coronabedingten Turbulenzen sind wir 2020 in der DACH-Region gewachsen und konnten Marktanteile hinzugewinnen. Das war zu Beginn der Pandemie, als die Unsicherheit in der Wirtschaft am grössten war, nicht unbedingt absehbar. Doch im Frühsommer 2020 hat unser Geschäft deutlich angezogen und Anfang 2021 noch einmal Fahrt aufgenommen.
Wie hat sich die Beratungsbranche in der Corona-Krise generell entwickelt?
Die weltweit führenden Strategieberatungen haben ihre Position weiter gefestigt. Nach dem anfänglichen Corona-Schock hat die Nachfrage stark zugenommen, wobei Grösse, Erfahrung und Reputation des Consultingpartners sicherlich eine massgebliche Rolle spielten. Daher ist die bisherige Konsolidierung eher zulasten des Mittelfelds gegangen. 2021 dürfte sich die aktuelle Entwicklung in der Consultingbranche fortsetzen, vor allem dann, wenn auch wegen der Pandemie aufgeschobene Beratungsprojekte angegangen werden.
Was treibt Unternehmen in der Pandemie um? Welche Beratungsprojekte sind gerade besonders gefragt?
Viele unserer Kunden überdenken ihre Gesamtstrategie, um turbulenteren Zeiten besser gerecht werden zu können. Nachhaltigkeit ist über alle Branchen hinweg ein grosses Thema, da viele ihre ESG-Vorhaben (Environmental, Social, Governance) beschleunigen wollen. Dagegen sind Kostensenkungs- und Turnaround-Programme vor allem in Branchen gefragt, die die Krise besonders hart getroffen hat. Und Digitalisierungsprojekte haben einen deutlichen Schub bekommen, denn die Pandemie hat gerade bei Nachzüglern bestehende Defizite schonungslos aufgedeckt.
Und in welchen Bereichen kam es zu Einbrüchen?
Im Frühjahr 2020 kam die globale Private-Equity-Branche nahezu zum Erliegen, erholte sich aber nach kurzer Pause wieder rasant. Für uns sind insbesondere die sogenannten Due Diligences traditionell ein wichtiges Geschäftsfeld. Inzwischen sind wir hier wieder voll ausgelastet.
Sie sind Experte für die Konsumgüterbranche, die die Corona-Krise besonders hart getroffen hat. Wird sich der physische Verkauf je wieder erholen?
Die Konsumgüterbranche hat sich zuletzt sehr unterschiedlich entwickelt. Einigen Unternehmen haben die Beschränkungen in der Gastronomie und im Eventbereich natürlich zu schaffen gemacht. Deutlich besser ist es bislang Anbietern von Körperhygieneprodukten oder auch Grundnahrungsmitteln ergangen, weil beispielsweise mehr zu Hause gekocht wird. Unabhängig davon haben zahlreiche Unternehmen im Lockdown erkannt, dass sie Nachholbedarf bei digitalen Direct-to-Consumer-Kanälen haben und sich daher schwertun, die Kundenbindung zu vertiefen. Inzwischen haben viele ihre Bemühungen diesbezüglich verstärkt. Und ich erwarte, dass die Branche hier in naher Zukunft noch massiver investieren wird.
Wie hat es Bain geschafft, die Beratungsleistungen in der Praxis aufrechtzuerhalten?
Die meisten unserer Consultants arbeiten schon seit Monaten im Homeoffice. Die Beratungsbranche setzt voraus, von überall aus arbeiten zu können, daher waren wir von Beginn der Krise an entsprechend gerüstet. Am meisten hat uns anfangs jedoch die virtuelle Kollaboration herausgefordert, denn Teil unserer Firmenkultur ist es, vor Ort an der Seite des Kunden zu sein. Wir mussten also schnell lernen, wie wir räumlich getrennt eng zusammenarbeiten und dabei verschiedene digitale Tools mit traditionellen Arbeitsmethoden in Einklang bringen können.
In einer Pandemie die Unternehmenskultur zu bewahren, ist nicht einfach. Was wurde bei Bain diesbezüglich unternommen?
Von Beginn an war es uns wichtig, viel zu kommunizieren und zusammenzukommen – wenn auch nur virtuell. Wir haben häufigere, dafür kürzere Teambesprechungen. Und interne Veranstaltungen haben wir ebenfalls virtualisiert – von Town Halls bis hin zur Weihnachtsfeier. Zudem gibt es neue Angebote für Job und Freizeit wie Coffee Chats, Fitness-Workouts oder Trainings. Das ist vor allem für diejenigen Mitarbeitenden von grosser Bedeutung, die in den letzten zwölf Monaten zu uns gestossen sind und unsere Kultur noch nicht live erleben konnten.
Und was raten Sie Ihren Kunden?
Zum einen die Kommunikation zu erhöhen und Führung sichtbar zu machen. Krisen- und Change-Kommunikation erfordern kürzere, häufigere und präziser artikulierte Botschaften. Zum anderen die Unternehmensmission zu betonen. Angesichts der vielen Umbrüche um uns herum gibt es den Mitarbeitenden Sicherheit, ein gemeinsames Ziel zu haben. Und schliesslich die Erfolge oder Fortschritte der letzten zwölf Monate hervorzuheben. Das Management sollte sowohl der Belegschaft als auch der Kundschaft und dem Markt insgesamt signalisieren, dass es strategisch fit ist und somit den Wandel meistern kann.
Bain ist immer auf der Suche nach neuen Talenten. Wie wurde das Recruiting in der Krise bewerkstelligt?
Wir haben unseren Recruiting-Prozess im Frühjahr 2020 virtualisiert und auf diese Weise das gesamte Jahr über neue Talente gewonnen. Bis auf Weiteres finden auch 2021 Jobinterviews per Videotelefonat statt. Die Anzahl der Bewerbungen war und ist hoch. Darüber hinaus haben wir den Zeitplan unserer Recruiting-Tage eingehalten sowie unser Praktikantenprogramm beibehalten. Tatsache ist, dass wir unser ambitioniertes Rekrutierungsziel in der DACH-Region 2020 erreicht haben. Für 2021 liegt die Messlatte noch einmal höher.
Und wie können neue Mitarbeitende in dieser Situation mitgenommen werden?
Beim Einstieg kommt dem Case-Team eine Schlüsselrolle zu, denn dort arbeiten neue Consultants mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Darüber hinaus treffen sich neue Beraterinnen und Berater virtuell als Gruppe, um Erfahrungen auszutauschen. Und individuell sind sie mit sogenannten Buddys verbunden, die sie ausserhalb der Kundenarbeit unterstützen. Parallel binden wir sie in virtuelle Firmenveranstaltungen ein, damit sie schnell so viele Kolleginnen und Kollegen wie möglich kennenlernen.
Derzeit ist oft zu hören, Corona werde alles verändern. Sehen Sie das auch so?
Nach dem anfänglichen Corona-Schock sind manche Unternehmen zu gewohnten Praktiken zurückgekehrt. Und wenn wir diese Krise hinter uns gelassen haben, wird vieles wieder so sein wie vor der Pandemie – davon bin ich überzeugt. Allerdings werden wir in einigen zentralen Bereichen auch einen gewissen Wandel sehen, der sich spürbar auf unser Leben und Handeln auswirken kann. Dazu zählt etwa das Verhältnis zwischen Job und physischem Arbeitsort. Und diesen Wandel werden wir sehr sorgfältig managen müssen.
Wie wichtig Digitalisierung ist, haben inzwischen wohl die meisten Unternehmen erkannt. Was aber ist das nächste «big thing»?
Das Thema Nachhaltigkeit verändert gerade Regeln und Prinzipien des geschäftlichen Lebens. Die ESG-Kriterien sorgen für Umbrüche in vielen Bereichen der Wirtschaft, von Energie über Mobilität bis hin zu Lebensmitteln. Durch diese Transformation werden sich die Profit Pools entlang der Wertschöpfungskette verschieben, was für die Unternehmen Vor- und Nachteile haben wird. Auch wenn sich bei einigen Vorreitern die ESG-Bemühungen bereits auszahlen: Um ESG als Ganzes zu verstehen, bedarf es viel Zeit und vieler Anstrengungen seitens der Unternehmen. Und nur wer diese Transformation als Chance begreift, wird am Ende den grössten Nutzen daraus ziehen.
Wissen lässt sich heute überall abrufen. Braucht es eigentlich in Zukunft noch Beratungsexperten wie Sie?
Den grundlegenden Wert unserer Arbeit sehe ich darin, unseren Kunden dabei zu helfen, den Wandel in ihren Unternehmen voranzutreiben und auch zu verankern. Das ist aus meiner Sicht ausschlaggebend, wobei Wissen dabei natürlich ein wichtiger Faktor bleibt. Daher bin ich sicher, dass unsere Kompetenz und unsere Erfahrung weiter gefragt sein werden, um gemeinsam mit unseren Kunden aussergewöhnliche Ergebnisse zu erzielen.
Was werden Sie persönlich nach Corona beibehalten?
Weniger reisen und mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Und ich habe seit Jahren mal wieder meine Bassgitarre in die Hand genommen!