Um 6,7 Prozent wird die Zahl der weltweit geleisteten Arbeitsstunden im zweiten Quartal 2020 voraussichtlich schrumpfen – das entspricht rund 195 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. In der Schweiz haben Unternehmen laut Seco für 1,9 Millionen Personen Kurzarbeit angemeldet, während die USA bereits weit mehr als 30 Millionen Menschen ohne Job verzeichnen. Nach dem kontrollierten Lockdown, der Liquiditätssicherung, der Arbeit im Homeoffice und dem Aufbau eines Corona-Krisenmanagements fordert nun der nächste Kraftakt die Unternehmenslenker: Das Arbeitsleben in Büros, Läden, Fabriken sowie ganze Vertriebsapparate wieder hochzufahren.
«Back to work». Das ist alles andere als trivial. Die Öffnung ist mit grossen Unsicherheiten verbunden, belastbare Prognosen sind kaum zu treffen. Kann unser Unternehmen weiteren Schocks standhalten? Wie gut können wir die Entwicklung unserer Märkte antizipieren? Ist die Organisation so agil, dass wir uns schnell auf neue Situationen einstellen können? Fragen, auf die es für das Management keine leichten Antworten gibt. Fakt ist: Je besser Unternehmen die vor ihnen liegenden Aufgaben bewältigen, desto erfolgreicher werden sie in der Phase danach sein. Einer Phase, in der wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben.
Schutz der Mitarbeitenden geht vor
Die Pandemie verändert unsere Arbeitsweise, zumindest bis es wirksame Medikamente oder eine Impfung gibt. Sicherheit steht mehr denn je im Fokus. Grossraumbüros werden in Einzelplätze aufgeteilt. Im Aufzug fahren nur wenige Menschen zusammen. Schichten in Fabriken werden so angepasst, dass das Ansteckungsrisiko gering ist. Zudem wird das Virus vielerorts den Trend hin zum Homeoffice nachhaltig forcieren.
Anforderungen an Technik und Kommunikation verändern sich dadurch ebenso wie die Unternehmenssteuerung selbst. Investitionen in die Ausrüstung der Heimarbeitsplätze sind nötig, während an anderen Stellen wie dem Bürobedarf gekürzt werden kann. Kurzum: Die Welt der Arbeit wird zunächst eine Welt auf Abstand sein. Entscheidend dabei ist, dass Unternehmen frühzeitig handeln. Nur so schaffen sie es, die Gesundheit ihrer Belegschaft zu schützen und ihren geschäftlichen Erfolg nicht zu gefährden.
Auch Prozesse und Kundennachfrage gehören überprüft. Laut Bain-Analysen wird etwa die Automobilindustrie im wahrscheinlichsten Szenario 2020 weltweit fast 30 Prozent weniger Fahrzeuge verkaufen. Produktion, Marketing, Vertrieb – alles muss sich dem neuen Kaufverhalten anpassen. Für die meisten Konsumgüterfirmen und Detailhändler gilt das gleichermassen. Nur wer verstanden hat, wie sich die Kundenbedürfnisse in den jeweiligen Regionen verändert haben, kann zielsicher produzieren und neue Services anbieten.
Unternehmen rund um den Globus kontrollieren und justieren derzeit ihre Lieferketten, um künftig sicher planen zu können. In manchen Bereichen ist eine Deglobalisierung zu erwarten, die Rekonstruktion der Lieferketten wird regionaleren Aspekten folgen. So dürfte etwa ein international agierender Maschinenbauer hierzulande erst einmal mehr Wert auf eine sichere Versorgung mit Komponenten legen als auf die preisgünstigste. Und zur neuen Realität wird genauso gehören, dass es in Zukunft insgesamt weniger internationale Geschäftsreisen gibt – was eine geringere Umweltbelastung bedeutet, aber unter anderem für die Luftfahrtbranche tiefe Einschnitte zur Folge hat.
Anderer Führungsstil ist gefragt
Für die anstehende Phase höchster Komplexität und Volatilität müssen sich Unternehmen in weiten Bereichen neu aufstellen. Der Fahrplan zur Wiederaufnahme des Betriebs bedeutet nicht nur, die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Schutz von Menschenleben zu gewährleisten. Vielmehr ist anstelle einer straffen Top-down-Führung ein dezentraleres Agieren angesagt.
Und die oft starre Periodenplanung wird durch kontinuierliche Marktbeobachtung ersetzt. Auf Nachfrageschwankungen ist sorgfältig zu achten, alle sich bietenden Chancen zur Umsatzsteigerung gilt es zu nutzen. Ein neuer Führungsstil muss Freiräume gewähren, im Notfall jedoch Massnahmen auch schnell wieder anpassen können.
Jetzt muss es dem Management gelingen, dass Mitarbeitende, Kunden, Lieferanten und Investoren Vertrauen in das Wiederhochfahren des Betriebs haben. Als hilfreich könnte sich dabei eine Erfahrung erweisen, die viele Menschen gerade angesichts der Corona-Krise gemacht haben. Mehr denn je haben sich vielerorts auch in der Schweiz Management und Belegschaft als Partner begriffen. Gemeinschaftsgefühl, Konsens, aber auch die funktionierenden staatlichen Auffangmechanismen bilden eine gute Basis für den Neustart.