Herr Warnking, wie lautet Ihre Definition von «Digitalisierung»?
Innovation mit Mehrwert für Menschen, darauf kommt es bei der Digitalisierung an. Der Mehrwert der Digitalisierung für Menschen besteht vor allem darin, Routineaufgaben schneller und effizienter zu erledigen.
Da stellt sich die Frage: Wie viele Jobs wird sie kosten?
Für die Schweiz ist sie eine unglaubliche Chance, weil hier überwiegend hochqualifizierte Arbeiten erfolgen und viel Forschung und Entwicklung betrieben wird. In diesen Bereichen wird wenig automatisiert werden können. Aber natürlich wird es Verschiebungen geben – in der Massenproduktion beispielsweise in Niedriglohnländern – wird der Einsatz von Robotern einiges bewegen.
Wird der Einfluss auf den hiesigen Arbeitsmarkt beschränkt bleiben?
Es werden international Zentren entstehen, die Investitionen und Talente konzentrieren können und die besonders stark im Innovationsbereich sind. Also Ökosysteme, die eine beschleunigte Dynamik entwickeln. Und die Schweiz ist ein solches Zentrum.
Es gibt aber auch Herausforderungen, vor allem für kleinere Unternehmen.
Absolut. Die KMU sind das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Innovationskraft, Qualität, und Talente werden in Zukunft die entscheidenden Erfolgsfaktoren sein. Das waren schon immer Stärken der Schweiz. Darum hat sie eine hervorragende Ausgangslage. Herausfordernd ist die Geschwindigkeit der Entwicklung. Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten verändern sich rasant und darauf muss man als Unternehmen reagieren können.
Fehlen teilweise nicht die Mittel dazu?
Es ist eine Herausforderung, aber gerade kleinere Firmen sind in der Regel besonders agil. Sie sind auch enger im Dialog mit ihren Kunden und stehen in engem Austausch. Das ist ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle: Das Kundenfeedback muss noch besser abgeholt werden, sei dies im persönlichen Gespräch oder über die digitalen Kanäle – indem man beispielsweise das Verhalten der Besucher auf der Webseite anonym misst. Die Feedbacks sind wichtige Inputs für die Entwicklung von Innovationen.
Betrifft die Optimierung weniger die internen Prozesse, sondern vielmehr die Interaktion mit den Kunden?
Beides. Häufig empfehlen wir KMU, intern einen Videowettbewerb zu machen. 20 Mitarbeitende bilden zehn Teams, die jeweils ein Kurzvideo drehen, in dem in 60 oder 120 Sekunden das Unternehmen vorgestellt wird. Den besten Film stellt man auf die Internetseite und fragt die Kunden schliesslich nach Feedbacks. Mit sehr einfachen Mitteln kann man so die neuen digitalen Kommunikationswege testen. Das kann ein kleineres Unternehmen viel einfacher und schneller umsetzen.
Und bei den grösseren, exportorientierten KMU, worin besteht dort die Challenge?
Die Schweizer KMU sind sehr erfolgreich und wenn kein Druck vorhanden ist, besteht die Gefahr, dass Investitionen in die neuen Themen zu zaghaft erfolgen. Wichtig erscheinen mir zwei Punkte: Dass man im Netz gefunden wird und dass die Webseite schnell, attraktiv und aussagekräftig ist. Für die Auffindbarkeit im Netz zentral ist die Suchmaschinen-Optimierung (SEO); dazu kann auch ein kostenloser Google Business-Eintrag beitragen, eine Art digitale Visitenkarte, um sowohl in der Google-Suche als auch in Google Maps besser gefunden zu werden. Es geht zunächst um einfache Dinge – dass man die Webseite fürs Smartphone optimiert oder dass man sich um die Auffindbarkeit der Webseite kümmert. Solche Dinge dürfen nicht liegen bleiben, nur weil es dem Unternehmen gerade gut geht.
Heisst das, dass die Schweizer KMU gut unterwegs sind?
Sie haben zumindest eine sehr gute Ausgangslage, weil Innovationskultur, Qualitätsbewusstsein und die Förderung von Talenten fest in den Werten verankert sind. Aber es muss jetzt in die digitalen Kanäle investiert werden, vor allem wenn man im Endkunden- und im Exportgeschäft tätig ist.
«Es werden internationale Zentren entstehen, die Investitionen und Talente konzentrieren können.»
In welche Bereiche müssen die Unternehmen konkret investieren?
Es geht um drei grundsätzliche Themen. Erstens geht es um die Neukundengewinnung über die digitalen Kanäle. Exportorientierte Unternehmen können so neue Märkte und Länder erschliessen, ohne eine Filiale zu eröffnen. Der internationale Wettbewerb wird sich durch die Digitalisierung intensivieren, darum dürften die neuen Kanäle an Bedeutung gewinnen. Das Zweite ist die Verbesserung des Service für Bestandskunden. Auch hier geht es zunächst um einfache Dinge: die Auffindbarkeit der Webseite, die Platzierung der Öffnungszeiten oder eine rasche Beantwortung der Anfragen, die über die digitalen Kanäle kommen. Dazu gehören auch die erwähnten Videos, die als Dienstleistung an den Kunden zu verstehen sind. Zum Servicegeschäft auch dazu gehört das Einholen von Kundenfeedbacks, gerade von Bestandskunden, die das Produkt schon kennen. Diese muss man systematisch bearbeiten und auswerten. Der dritte Bereich ist die Prozessautomatisierung durch die IT, unabhängig ob in Administration oder Produktion.
Braucht man dafür einen Spezialisten?
Nein, aber jemanden aus dem Umfeld Marketing, Sales und IT, der sich dezidiert darum kümmert. Es kommt natürlich auch auf die Grösse des KMU an, doch irgendjemand im Unternehmen hat sich auch in der Vergangenheit um Kommunikation, IT oder den Verkauf gekümmert. Aus diesem Umfeld muss sich jemand mit den neuen digitalen Themen beschäftigen, um neues Wissen aufzubauen. Das ist keine Raketenwissenschaft. Dazu bieten wir auch kostenlose Trainings unter dem Namen «AtelierDigital» (www.AtelierDigital.ch) hier bei Google Schweiz und in vielen Regionen der Schweiz an.
Prozessautomatisierung durch die IT – das geht dann aber Richtung Raketenwissenschaft.
Nicht unbedingt, es zeichnen sich schliesslich klare Trends ab, beispielsweise dass man zunehmend digitale Anwendungen nutzt, um Informationen im Unternehmen einfacher zu teilen. Zunehmend wird auch günstigere und leistungsfähigere Hardware eingesetzt. Wenn es um die Ansteuerung von Maschinen geht, wird es sicher anspruchsvoller. Aber meistens bezieht man diese über einen Dienstleister oder Partner, die einen unterstützen. Schliesslich zeichnet sich auch ein klarer Trend zum Cloud Computing ab.
Auch Google bietet Cloud-Software an. Mittlerweile besteht mehr oder weniger ein Zwang zur Cloud und davor haben viele KMU Angst. Ist diese aus Ihrer Sicht berechtigt?
Das Cloud-Thema hat verschiedene Aspekte. Der grösste Vorteil ist, dass sich dadurch effizientere Prozesse gestalten lassen. Dokumente und Informationen im Unternehmen können viel leichter miteinander geteilt werden, sodass mehrere Mitarbeiter beispielsweise gleichzeitig am gleichen Dokument arbeiten können. Ausschlaggebend sind zudem die Kostenaspekte. Die Software, die es von uns und anderen Anbietern gibt, ist deutlich günstiger als eingekaufte Softwarepakete. Drittens geht es um Sicherheit. Immer mehr Unternehmen stellen fest, dass es sinnvoll ist, die IT auszulagern, weil es für sie mit einem extremen Aufwand verbunden ist, selber für die Sicherheit zu sorgen. Wir investieren viel, um ein Vertrauensverhältnis zu den Unternehmen aufzubauen – damit sie wissen, dass ihre Daten bei uns sicher aufbewahrt werden und dass wir diese Daten nicht weiterverwenden. Die Unternehmen haben die volle Kontrolle darüber, welche Daten sie in die Cloud stellen, wem sie Zugang gewähren, und sie können diese jederzeit wieder löschen.
«Für Google wäre es töricht, wenn wir durch unser Verhalten das Vertrauen der Nutzer und Unternehmen untergraben würden.»
Ein aktuelles Beispiel stellt die Glaubwürdigkeit dieser Aussage in Frage. 50 Millionen User-Daten von Facebook sind in den USA abhandengekommen oder wurden missbraucht. Das war auch ein amerikanischer Konzern.
Das betrifft einen Wettbewerber von uns und nicht Google. Zweitens müssen wir leider feststellen, dass in der jüngeren Vergangenheit auch Telekom-Anbieter, Banken und Rüstungsunternehmen in der Schweiz grössere Datenmengen verloren haben. Das zeigt, dass Datenschutz – und damit direkt verbunden die IT-Sicherheit – eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Google erreicht mit unglaublich hohen laufenden Investitionen und Ressourcen ein Niveau an IT-Sicherheit, das ein KMU selber unmöglich erreichen könnte. Aber ja, am Ende ist es eine Vertrauensfrage, und für Google wäre es töricht, wenn wir durch unser Verhalten das Vertrauen der Nutzer und Unternehmen untergraben würden. Wir sind ein börsennotiertes Unternehmen und werden sehr genau beobachtet. Sie können sicher sein, dass wir alles daran setzen, die Daten von Kunden zu schützen.
Aber Google ist natürlich machtlos, wenn der Regulator eingreift. Planen Sie vor diesem Hintergrund ein Rechenzentrum in der Schweiz?
Einige Kunden sind mit diesem Wunsch auf uns zugekommen. Darum denken wir zurzeit über einen solchen Schritt nach, damit wir den regulatorischen Anforderungen bestimmter Branchen besser entsprechen können.
Was müssen Verwaltungsräte tun, um das Thema Digitalisierung anzugehen?
Wir pflegen öfters den Austausch mit Verwaltungsräten. Meistens geht es dabei um drei Ebenen. Erstens geht es um die Mitarbeitenden und darum, wie man ihnen die Angst vor der Digitalisierung nehmen kann. Es geht darum, einen Weiterbildungsplan zu entwickeln und lebenslanges Lernen zu ermöglichen, damit die Mitarbeitenden bei der Digitalisierung mitgenommen werden. Die Mitarbeitenden müssen dahin gebracht werden, dass sie sich als Teil der Innovationskultur des Unternehmens verstehen. Das ist eine zentrale Idee der Digitalisierung. Sie ist nicht nur Aufgabe der Geschäftsleitung oder einer bestimmten Abteilung. Die zweite Ebene betrifft die Kunden. Es geht darum, einen besseren Feedbackkanal aufzubauen und diesen viel stärker in die gesamte Unternehmensstruktur einzubauen. Die Synergien zwischen IT, Marketing und Vertrieb müssen viel stärker zum Tragen kommen. Gleichzeitig bleibt der persönliche Kontakt mit den Kunden wichtig, aber die verschiedenen Kanäle müssen ineinandergreifen. Der dritte Bereich ist das Thema Partnerschaften. Zunehmend können branchenfremde Unternehmen interessante Partner sein, die ein Unternehmen in der Vergangenheit nicht auf dem Radar hatte. Etablierte Unternehmen sollten sich mit der Nachbarbranche beschäftigen oder mit den Start-ups aus der eigenen Branche. Die Finanzindustrie tut dies in der Schweiz bereits sehr erfolgreich.
Die Schweizer sind eher zurückhaltend, Partnerschaften einzugehen und Know-how zu teilen. Start-ups haben Angst, dass jemand ihre Idee klaut, und KMU wollen nicht zu viel über geplante Innovationen verraten. Was sagen Sie dazu?
Es muss immer für beide Seiten passen. Da traue ich sowohl den KMU als auch den Start-ups genug Urteilsvermögen zu, um selbst zu entscheiden, mit wem sie worüber reden. Bei den meisten bestehenden Unternehmen sind das Geschäftsmodell sowie die Produkte und Dienstleistungen bekannt. Da verrät man in der Regel nicht viel. Und die Start-ups suchen nach Investoren, nach Partnern für die Distribution. Darum müssen sie auch gewisse Informationen preisgeben. Gerade so wichtig ist aber der allgemeine Austausch untereinander. Bei der Digitalisierung geht es schliesslich um die Anwendung neuer Software-Werkzeuge. Doch bevor ich diese einsetze, möchte ich wissen, welche Erfahrungen jemand damit gemacht hat. In diesem Sinn wird der Austausch wichtiger.
Google ist ja weit mehr als bloss Suchmaschine und bietet eine Unzahl von kostenlosen oder sehr günstigen Tools und Anwendungen an. Was raten Sie, wenn man von anderen namhaften Softwareanbietern zu Google wechseln will?
Oft kann man mit Teilbereichen zuerst einen Test machen. Viele Anwendungen sind bereits mit Google-Produkten kompatibel. Ich kenne eine ganze Reihe von Unternehmen, die auch von anderen Anbietern Software und zusätzlich beispielsweise Gmail oder Hangouts als Video-Konferenz-System benutzen. Es gibt immer mehr Kompatibilität zwischen verschiedenen Anwendungen. In den USA laufen SAP-Produkte teilweise in der Google-Cloud. Auch mit Salesforce-Produkten kann teilweise in der Google-Cloud gearbeitet werden. Einige grosse Schweizer Unternehmen haben bereits komplett zu Google-Cloud gewechselt. Zwei grosse Schweizer Verlage arbeiten ausschliesslich mit Google-Produkten und zeigen, dass es funktioniert.
Eine letzte Frage: Was kommt nach der Digitalisierung? Was ist der nächste Hype?
Ich glaube, das nächste grosse Thema ist Sprache, das heisst Spracherkennung und Sprachsteuerung von Geräten. Damit sind wir wieder beim Thema vom Anfang: Wie kann man Routineaufgaben einfacher erledigen? Man sieht bereits die ersten Anwendungen, aber diese sind noch nicht gut genug.
Was ist mit künstlicher Intelligenz, ist dies Teil davon?
Ja. Bei künstlicher Intelligenz geht es zunächst um maschinelles Lernen. Dieses ist in den meisten Fällen nichts Anderes als Mustererkennung – beispielsweise Bild- und Spracherkennung. Sprachsteuerung und -erkennung ist tatsächlich eine Basistechnologie, die für viele Branchen relevant werden wird.