Ist es nur dumm gelaufen oder liegen die Ursachen tiefer im Governance-Modell der Aktiengesellschaften? Einige Gedanken zu möglichen Einflussfaktoren.
Liegt es am Alpha-Faktor? Die Unternehmensführung braucht starke Persönlichkeiten, um Vision und Strategie zu definieren und mit Überzeugung umzusetzen. Zwölf Verwaltungsräte führen (d.h. Vorgaben und Kontrolle) acht Geschäftsleitungsmitglieder (GL). Das sollte eigentlich funktionieren. Was, wenn in der GL die stärkeren Alphatiere sitzen als im VR? Wer bindet ein charismatisches Top-Alphatier mit welchen Argumenten und welcher Sozialkompetenz zurück?
Liegt es an der Rolle des VR? Wenn ein strategisches und existentielles IT-Projekt fast in jeder Beziehung versagt – welcher VR überstimmt, ja korrigiert den Antrag eines hochdekorierten und erfahrenen CIO bezüglich Architektur, Funktionalität, Zeitplan und Vorgehensweise, und dies noch bevor das Projekt absinkt?
Liegt es am Fokus des VR? 17 VR- plus total 31 Ausschuss-Sitzungen im letzten Jahr und kein Ende der Feuerwehrübungen. Aber welcher Ausschuss hätte den CEO hinterfragen und proaktiv intervenieren müssen? Welcher hätte viel früher korrigierend in das IT-Projekt eingreifen müssen? Wurde den einfacheren Themen wie Nominationen und Vergütungen zu viel Priorität beigemessen?
Liegt es an der Kompetenz des Teams? Hat das Gremium die heissen Kartoffeln gar nicht erkannt oder ignoriert? Nachdem der neue Verwaltungsratspräsident die praktische Selbstauflösung des Gremiums genützt hatte, um Mitglieder mit anderen Kompetenzen und Erfahrungen zu finden, scheint hier ein Problem vorhanden gewesen zu sein.
Kann der VR die Verantwortung überhaupt wahrnehmen? Nein, in der Dimension des aktuellsten Falles wohl kaum. Die GL war viel zu stark, der VR war viel zu schwach und mit den falschen Themen beschäftigt. Gleichzeitig griff der VR im unpassendsten Moment in den Honigtopf und die GL hatte insofern Pech, als Projekte, welche mehrheitlich Zeit und Kosten überschritten, sich nicht zum Guten, sondern Richtung Super-GAU entwickelten, während der alte CEO in einer Zelle sitzt und der neue «lahme Ente» spielt.
Fazit
Es gibt einige wenige Grundsätze in der Zusammenarbeit zwischen den Organen:
Vertrauen Die Mitglieder beider Gremien müssen sich gegenseitig vertrauen können. Wenn einzelne Akteure verwerfliche Absichten verfolgen, kann meist erst reaktiv nach ungeplantem Aufpoppen der Verfehlungen gehandelt werden. Ein Teilzeit-Gremium kann ein Vollzeit-Gremium unmöglich in allen Details kontrollieren, sondern nur sinnvolle Kontrollmechanismen einführen, die das Unternehmen nicht mehr lähmen als sie ihm nützen. Ein neutraler und mutiger Revisionspartner wäre hier sicher hilfreich.
Kompetenzen Es genügt nicht, wenn im VR theoretische oder nebensächliche Kompetenzen vorhanden sind. Wenn der «Stallgeruch» fehlt, wird es schwierig. Stallgeruch heisst Erfahrung in den Kernkompetenzen eines Unternehmens und ist grundlegender Faktor, um aus dem VR die Aktivitäten einer GL beurteilen zu können. Also profundes Wissen über Markt, Kunde, Technologie und Prozesse. Es braucht keine Spezialisten für Vergütung, Lobbying und Networking. Ohne Stallgeruch sind auch letztere Aufgaben nur Makulatur.
Erneuerung Der VR organisiert sich in der Regel selber. Er muss auf die zukünftigen, strategischen Herausforderungen und Überlegungen ausgerichtet sein. Dafür braucht es wohl häufigere und zielgerichtetere Erneuerungen im VR als bisher.
Grösse Je grösser ein Team, desto komplexer wird die Zusammenarbeit, Synchronisation, Koordination. Und desto geringer wird das Verantwortungsgefühl und unschärfer der erwartete Beitrag jedes einzelnen Mitglieds. Reduce to the max!
Das aktuelle Governance-Modell ist nicht überholt, wenn die Grundlagen beachtet werden. Es kann Fehler nicht verhindern, aber Unternehmen auf robustem, solidem Kurs halten. Und Verwaltungsratsmandate sind kein Hobby, sondern höchst anspruchsvolle Tätigkeiten.
P.S. Übereinstimmungen mit aktuellen oder früheren Vorkommnissen sind rein zufällig.