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VR Praxis

Mehr Homo Politicus

Aussenpolitische und weltwirtschaftliche Themen werden im VR immer wichtiger.
Bild: iStock_FangXiaNuo

Das neue Jahrzehnt bringt neue Themen. Laut einer ­aktuellen Umfrage wünschen sich Verwaltungsräte mehr Wirtschaftsvertreter in der Politik und dass diese sich da auch stärker engagieren sollen. Ein zusätzliches ­Problem: Nur 16 Prozent der Verwaltungsräte sind unter 50 Jahre alt – die ­Erneuerungswelle steht unmittelbar bevor.

Anders als noch in den Nullerjahren dominieren politische ­Themen das Wirtschaftsgeschehen heutzutage so stark wie schon lange nicht mehr. Bestes Beispiel: Die zum sechsten Mal vom schweizerischen Executive Search Unternehmen Knight Gianella beauftragte und dieses Jahr zum ersten Mal vom International Institute for Management Development in Lausanne IMD durchgeführte Umfrage unter Verwaltungsratsmitgliedern zeigt eindrücklich, dass politische Themen die Verwaltungsräte aktuell deutlich stärker beschäftigen als früher.

Fast jeder zweite befragte Verwaltungsrat nennt aussenpolitische und weltwirtschaftliche Themen als die grösste Herausforderung für die Gremien. «Im Gegensatz zu den früheren Befragungen stehen heute nicht Themen wie Digitalisierung oder fehlende Talente im Vordergrund», sagt ­Sandro V. Gianella. Vielmehr würden sich die Verwaltungsräte an erster Stelle Sorgen über die Entwicklung des nationalen und internationalen Umfeldes machen. «In der Schweiz gehört das EU-Rahmenabkommen zu den externen Faktoren, die in den Verwaltungsräten für grosse Verunsicherung sorgen.»

Zum Background der Studie: 214 Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte, die 647 börsenkotierte und grosse, nicht börsenkotierte Unternehmen in der Schweiz als VR-Mitglieder führen, haben an der repräsentativen Umfrage teilgenommen.

Vom Homo Oeconomicus zum Homo politicus

Die Verwaltungsräte sind sich bewusst, dass sie politisch zu wenig aktiv sind und die Wirtschaftsvertreter mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollten.
Drei Viertel der Befragten wünschen, dass sich Wirtschaftsvertreter stärker politisch engagieren sollten. 68 Prozent sind besorgt über die zunehmende Ablehnung der Globalisierung. 64 Prozent meinen, dass die Schweizer Wirtschaft viel mehr für den Klimaschutz macht als die Öffentlichkeit wahrnimmt; wobei 36 Prozent glauben, dass die Wirtschaft trotzdem nicht genug für den Klimaschutz macht. 75 Prozent sind überzeugt, dass die Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) der Schweizer Wirtschaft grossen Schaden zuführen würde. ­­­

30 Prozent denken, dass die KOVI heute angenommen würde, während 46 Prozent glauben, dass sie abgelehnt wird. Sandro V. Gianella: «Trotz der verstärkten Verpflichtung zur gesellschaftlichen Verantwortung zeigt die Studie, dass Nachhaltigkeitsthemen die Verwaltungsräte zwar beschäftigen aber noch zu wenig in die Strategiearbeit einbezogen werden.» 

Immer wieder die Digitalisierung

An zweiter Stelle der Themen, welche die Verwaltungsräte am meisten beschäftigen, folgt die Digitalisierung und ihre Konsequenzen, die von 44 Prozent als grosse Herausforderung bezeichnet werden.

Die Digitalisierung habe die Anforderungen an die Verwaltungsräte in den letzten fünf Jahren am stärksten verändert. Die Verwaltungsräte mussten sich Fachwissen über Digitalisierung und die digitale Transformation aneignen. Einen grossen Nachholbedarf verspürten sie in den letzten Jahren beim Wissen über die Cyberrisiken. Für 95 Prozent der Befragten haben sich diese Anforderungen stark verändert. 

Für 91 Prozent der Verwaltungsräte ist die Digitalisierung heute kein isoliertes Spezialthema mehr sondern ein «integriertes Element der Unternehmensstrategie». Nur ein kleiner Teil der Befragten betrachtet das Thema als nicht oder wenig relevant. Die Anzahl der Unternehmen, die sich erst «am Anfang» der digitalen Transformation sehen, hat sich in nur einem Jahr von 19 auf 9 Prozent reduziert. 

Mehr Erfolgreiche Geeks im VR, bitte!

Der Ruf nach mehr Digital Natives in den Verwaltungsräten ist nach wie vor laut. Digital Native als Alleinstellungsmerkmal genügt aber nicht mehr. «Wirklich gefragt sind Führungskräfte, die in ihrem Unternehmen die digitale Transformation geschafft haben; die mit Erfolg strategisch, operativ und kulturell die Veränderungen durchgesetzt haben», erklärt Sandro V. Gianella. 

Die digitale Transformation führe laut der Umfrage zu einer neuen Unternehmenskultur. Bei den meisten Unternehmen hat sie direkte und vielfältige Auswirkungen auf die Führung des Unternehmens. Agilität ist gefragt. Befragte meinen, «die Unternehmensstrukturen werden agiler», «man muss den Venture Gedanken zulassen», «flachere Hierarchien sind wichtig»; und gleichzeitig «muss das Unternehmen finanziell auf Kurs bleiben».

Der höhere Speed, die Freude am Experimentieren bedingt eine höhere Fehlertoleranz: «Fehlerkultur ist entscheidend für Innovation», so ein Befragter. 

Frischer Wind kommt

In den Verwaltungsräten wird es in den nächsten Jahren wohl zu drastischen Veränderungen kommen. 64 Prozent der Befragten wissen, dass in naher Zukunft ein oder mehrere ihrer Miteinsitzer ersetzt werden müssen.

Die Überalterung der Verwaltungsräte ist ein grosses Thema. Am stärksten vertreten sind laut der repräsentativen Knight Gianella VR-Umfrage die 50 bis 59-Jährigen – sie stellen 49 Prozent der Verwaltungsräte. Die unter 50-Jährigen sind nur mit 16 Prozent vertreten. Über 60 Jahre alt sind 36 Prozent der Verwaltungsräte. Die Frauenquote beträgt in den Hauptmandaten der Befragten 24 Prozent. Der Change wird also kommen.